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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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außerdem läutete es fortwährend in den Ohren: die Ohrringe der Euphemia. Schließlich bat er den Wachtmeister Slama, die Frau Czaczkes freizulassen. »Wenn Sie nicht mehr schreien«, sagte Slama zur alten Händlerin, »lasse ich Sie frei, wollen Sie?« Ja, freilich wollte sie. Sie wurde freigelassen. Und sie rannte davon, den Weg zurück, mit flatternden Armen. Sie glich einem Kranich.
    Schließlich gelangte Eibenschütz vor den Bottich Jadlowkers. »Was machen Sie hier?« fragte er. »Haben Sie auch eine Konzession, Fische zu verkaufen?« »Nein«, sagte Jadlowker, und sein ganzes breites Angesicht lächelte, es war, als lächelte irgendeine kleine, sehr häßliche Sonne, eine Sonne der Häßlichen. »Nein«, sagte Jadlowker, »ich vertrete nur einen Freund, meinen Freund, den Fischhändler Schächer.«
    »Papiere?« fragte der Eichmeister. – Er wußte nicht, weshalb ihn plötzlich ein so heftiger Zorn gegen den armen Leibusch Jadlowker ergriffen hatte.
    »Sie haben nur Gewichte zu prüfen!« sagte Jadlowker, der sich in den Gesetzen auskannte. »Sie haben nicht das Recht, nach Papieren zu fragen!«
    »Sie leisten Widerstand!« sagte der Eichmeister Eibenschütz. Er wußte nicht, weshalb er den Leibusch Jadlowker so haßte. Er wußte nicht, warum er immerfort im Herzen, im Gehirn, überall, das gefährliche Klingeln der Ohrringe hörte.
    Bei dem Wort »Widerstand« trat der Wachtmeister näher. »Wo kommen Sie her?« fragte er den Jadlowker.
    »Ich habe die Grenzschenke in Szwaby«, antwortete Jadlowker. »Das weiß ich«, sagte der Wachtmeister Slama. »Ich war schon in Ihrer Schenke. Jetzt reden wir dienstlich. Keine Vertraulichkeiten: verstanden?«
    Er stand da, der Wachtmeister Slama, im Abendschein. Die Sonne schickte noch den letzten Rest ihrer Kraft über den Marktplatz. Sie vergoldete auch eine Wolke, die über dem Platz dahinschwebte, und erweckte zugleich ein gefährliches Funkeln in der Pickelhaube des Gendarmen. Auch sein Bajonett blitzte.
    Man weiß nicht, was damals in Leibusch Jadlowker vorging. Er stürzte sich plötzlich auf den Gendarmeriewachtmeister, das Fischmesser in der Hand. Er stieß wüste Verwünschungen gegen den Kaiser, gegen den Staat, gegen das Gesetz und sogar gegen Gott aus.
    Der Eichmeister Eibenschütz und der Wachtmeister Slama überwältigten ihn endlich. Der Wachtmeister holte diesmal die wirklichen Ketten aus der Diensttasche: brave, biedere Ketten.
    So führten sie den Mann nach Zloczow ins Bezirksgefängnis.
    Von Szwaby war keine Rede mehr. Immer noch klang in den Ohren des Eichmeisters das sachte Klingeln der Ohrringe der Frau Euphemia.

XVII
    In Zloczow hatten der Eichmeister Eibenschütz und der Wachtmeister Slama sehr viel und sehr Unangenehmes zu besorgen. Ganz ermattet von der Reise, kamen sie an. Es war sehr schwer gewesen, den wilden und ziemlich gewichtigen Leibusch Jadlowker, obwohl er gefesselt war, in den Wagen zu bringen. Der Gendarm mußte ihm auch die Füße fesseln. Unterwegs spie Jadlowker bald dem Gendarmen, bald dem Eichmeister ins Gesicht. Er saß eingeklemmt zwar zwischen den beiden, aber er war kräftiger als beide Männer, und er stieß gegen sie mit dem Ellenbogen dermaßen heftig, daß sie beide fürchten mußten, von dem kleinen Wägelchen hinunterzufallen. Nach drei Stunden solch mühseliger Fahrt kamen sie endlich in Zloczow an. Der Gendarm Slama pfiff, und zwei Gemeindepolizisten und noch ein Gendarm kamen, um die Einlieferung des Leibusch Jadlowker zu bewerkstelligen. Es war bereits sechs Uhr abends, als sie alle keuchend, verschwitzt das Bezirksgericht erreichten. Der Untersuchungsrichter war schlechter Laune und hatte gerade Schluß gemacht und wollte nach Hause gehen. Er nahm trotzdem ein flüchtiges Protokoll auf. Er bestellte den Wachtmeister Slama und den Eichmeister Eibenschütz für den nächsten Morgen. Sie verbrachten die Nacht schlaflos in einem Schuppen in der Herberge »Zur goldenen Krone«, wo alle Zimmer besetzt waren und wo man Beamte ohnehin nicht gerne sah und beherbergte.
    Am nächsten und auch am übernächsten Tage gab es nichts anderes als Protokolle, Vernehmungen und wieder Protokolle. Es ging dem Eichmeister Eibenschütz nicht gut, gar nicht gut. Er hatte das Gefühl, daß er eine große und schwere Sache erlebt habe, und was hätte es ihn eigentlich bekümmern müssen? Was ging ihn eigentlich der Jadlowker an? Gewiß, man war ein Mensch, man brachte nicht gern jemanden ins Unglück! Das sagte sich auch der

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