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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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daneben und zog sein Taschentuch und wischte sich die Augen. Es waren trockene Augen. Er dachte nur daran, wie er Jadlowker verbergen könnte. Bevor der Wachtmeister fortging, trat er näher und flüsterte: »Wißt ihr, der Jadlowker ist an der Cholera gestorben. Sagt nichts der Euphemia! Wir Hypothekare haben jetzt das Hotel!«
    »Ich habe hier immer noch die Aufsicht, trotz der Cholera«, sagte der Eichmeister Eibenschütz. Und der Wachtmeister Slama knöpfte seinen Mantel zu, schnallte den Säbel um und stülpte den Helm auf und drückte dem Eichmeister noch einmal die Hand. »So, Jadlowker ist also tot!« sagte er mit einiger Feierlichkeit. Es war, als nähme er auch von dem vermeintlich Toten Abschied. Vor Kapturak salutierte er nur, mit zwei Fingern. Weg war er. Dem Eichmeister Eibenschütz schien es, als wäre er von Gott und der Welt verlassen. Er sehnte sich nach Sameschkin in diesem Augenblick. Aber der schlief oben mit der geliebten, sehr geliebten Euphemia.

XXXIII
    Am einundzwanzigsten Februar, genau auf den Tag, brach plötzlich ein starker Frost aus, und alle Welt begrüßte ihn freudig.
    Der liebe, grausame Gott schickte Cholera und Frost, je nachdem. Nach der Cholera begrüßten die Leute den Frost.
    Über Nacht gefror die Struminka. Der Regen hörte plötzlich auf. Der Schlamm in der Mitte der Straße wurde hart und trocken, wie Glas, graues, trübes Glas, und von einem sehr klaren, gläsernen Himmel schien die Sonne, sehr hell, aber auch sehr ferne. Auf den hölzernen Bürgersteigen gefror das Geriesel, der Überrest des Regens; und die Menschen gingen daher mit eisenbeschlagenen Stöcken, um nicht auszugleiten. Ein eisiger Wind wehte: nicht von Nord oder Süd, Osten oder Westen, sondern ein Wind, der aus gar keiner Richtung zu kommen schien. Vom Himmel kam er vielmehr. Von oben herab wehte er, wie sonst nur Regen oder Schnee von oben herabfällt.
    Über Nacht erstarb auch die Cholera. Die Kranken wurden gesund, und kein Gesunder mehr wurde krank. Man vergaß die Toten – wie man immer Tote vergißt. Man begräbt sie. Man beweint sie. Am Ende vergißt man sie.
    Das Leben hielt wieder seinen Einzug in den Bezirk Zlotogrod.
    Das Leben hielt wieder seinen Einzug in den Bezirk Zlotogrod, aber dem Eichmeister Eibenschütz war es gleich, ob die Cholera herrschte oder nicht. Seit dem Tod seiner Frau trank er, nicht etwa aus Angst vor dem Tod, sondern aus Sehnsucht nach dem Tod.
    Er übertraf alle Trinker. Er wohnte wieder in der Grenzschenke in Szwaby, sein Haus in Zlotogrod verwaltete nur die Magd, und er kümmerte sich nicht darum, wie sie es verwaltete. Er konnte sich überhaupt um nichts mehr kümmern.
    Er trank. Er geriet in den Alkohol wie in einen Abgrund, in einen weichen, verführerischen, sanftgebetteten Abgrund. Er, der zeit seines Lebens so fleißig darauf bedacht gewesen war, sein Aussehen zu pflegen, aus dienstlichen Gründen, die eigentlich bereits Gebote seiner Natur geworden waren, begann jetzt, nachlässig zu werden, in der Haltung, im Gang, im Angesicht. Es begann damit, daß er, nachdem er eine ganze Nacht durchgetrunken hatte, sich in das Bett legte, ohne mehr auszuziehen als Rock und Weste und Schuhe. Er schnallte die Hosenträger ab, zu faul war er, noch Hose und Strümpfe abzulegen. Von der Kaserne her war er gewohnt gewesen, sich abends vor dem Schlafengehen zu waschen und zu rasieren – denn der Dienst begann schon um sechs Uhr früh. Jetzt begann er, zuerst das Rasieren auf den Morgen zu verschieben. Als er sich aber erhob, war es schon spät, um den Mittag etwa, und er erinnerte sich daran, daß es manche Leute gab, die sich nur jeden zweiten Tag rasierten oder rasieren ließen. Noch hatte er die Kraft, sich zu waschen. Noch betrachtete er sich im Spiegel, und nicht etwa, um zu sehen, wie gut er aussehe, sondern vielmehr, um zu erfahren, ob er noch nicht schlecht genug aussehe. Sehr oft überfiel ihn die häßliche Lust, nachdem er aufgestanden war, seine Zunge genau zu betrachten, obwohl er gar kein Interesse an ihr hatte. Und sobald er sich selbst einmal die Zunge sozusagen aus trotziger Neugier herausgestreckt hatte, konnte er nicht mehr umhin, sich allerhand Grimassen vor dem Spiegel zu schneiden; und manchmal rief er sogar seinem Spiegelbild ein paar wütende Worte zu. Manchmal konnte er von der Selbstbetrachtung im Spiegel gar nicht mehr loskommen, es sei denn, er griff nach der Flasche, die immer am Fußende seines Bettes stand. Er schüttete einen Schluck ins

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