Das Falsche in mir
Schlafzimmer eher kühl ist. Ich spüre die Anwesenheit des schwarzen Bruders, seine satanischen Anwandlungen. Warum gilt Gott als allmächtig, obwohl er seinen dunklen Gegenspieler nicht im Griff hat? Ist Gott allmächtig, hat er den Teufel geschaffen und unter Kontrolle. Hat Gott den Teufel nicht unter Kontrolle, kann er nicht allmächtig sein.
Ich schließe die Augen und lasse mich fallen in andere, viel frühere Erinnerungen. Ich bin wieder zu Hause und sitze vor einer Portion Schweineleber mit Zwiebeln und Kartoffelbrei. Damals galt Leber noch als gesund.
Tante Grete steht hinter mir. Sie trägt einen unkleidsamen, steifen Rock und eine Bluse, die bis auf den letzten Knopf geschlossen ist. Ihre Haare hat sie hoch auf dem Oberkopf zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und dann über dem Nacken eingeschlagen und mit Klammern festgesteckt. So eine seltsame Frisur habe ich noch nie gesehen, und deswegen gucke ich gerne zu, wie sie sie macht.
Jeden Morgen aufs Neue.
Tante Grete heißt eigentlich Margarete, will aber Tante Grete genannt werden. Sie hasst mich, denn ich bin heikel und will weder Leber noch Blaukraut, Heidelbeeren, Gemüseallerlei aus der Dose oder Selleriepüree essen. Ich weiß, dass in mir der Teufel steckt. Er spielt Tante Grete gern Streiche und tut dann so, als sei es mein kleiner Bruder gewesen. Tante Grete lässt sich allerdings nicht täuschen.
Mein kleiner Bruder ist viel zu lieb, glaubt sie. Dabei hasst er sie genauso wie ich, er lässt sich nur nichts anmerken.
Ich schneide ein winziges Stück Leber ab und schiebe es voller Ekel und Abneigung in den Mund. Tante Grete wird mich nicht aufstehen lassen, bevor ich die Leber nicht aufgegessen habe. Ich würge, weiß aber gleichzeitig, dass die Übelkeit nicht ganz echt ist, dass sie auch etwas Ostentatives hat. Ich will Tante Grete zeigen, wie sie mich quält.
Dummerweise ist ihr das vollkommen egal.
Sie steht hinter mir, regungslos, bedrohlich, wie ein Schatten. Sie sagt nichts, ihre infame Geduld ist unerschöpflich. Sie wird mich hier stundenlang sitzen lassen, während sich meine Freunde draußen treffen und sich auf der riesigen Baustelle herumtreiben werden, die wir unerlaubterweise zu unserem neuen Abenteuerspielplatz auserkoren haben.
Ich dagegen sitze hier, bekämpfe den Würgreiz und starre auf den dunkelbraun schimmernden ovalen Biedermeier-Esstisch mit den Sets aus geflochtenem Bast.
Und irgendwann falle ich einfach seitlich vom Stuhl.
Ich kann später nicht mehr sagen, ob das pure Absicht war oder tatsächlich ein kleiner Schwächeanfall oder eine Mischung aus beidem. Jedenfalls tut es ziemlich weh, als mein rechter Oberarm auf dem gefliesten Boden aufprallt. Auch die Ohren bekommen etwas ab.
Aber ich weine nicht, sondern bleibe einfach liegen, wie tot.
Tante Grete gibt mir eine Ohrfeige und zieht dann meinen leblosen Körper nach oben, versucht mich wieder auf den Stuhl zu setzen, aber ich lasse mich wieder fallen. Schließlich gibt sie es auf und trägt mich ins Bett. Die Zimmertür sperrt sie allerdings hinter mir zu.
Im Bett überlege ich, wie es wäre, ihr die Kehle durchzuschneiden. Ich stelle mir Ströme von Blut vor.
Zu dieser Zeit denke ich noch, dass alle Jungen sich solche Sachen zusammenfantasieren.
Sie ist nicht immer allein. Irgendwann, sie weiß nie, wann, geht die Tür auf, fahles Licht fällt in den Raum und blendet sie, als würde ihr jemand mit einer starken Taschenlampe ins Gesicht leuchten. Ein Schatten kommt auf sie zu und nimmt sie unter den Armen, stützt sie.
Der Schatten bringt sie durch einen fensterlosen Gang in ein weiß gekacheltes Bad, das ebenfalls kein Fenster hat. Es ist mit Neonröhren erleuchtet, von denen eine immer flackert. Das Flackern macht sie verrückt, genauso wie die plötzliche Helligkeit.
Der Schatten bringt sie zu einer von zwei Duschen, zieht sie aus, wirft ihre schmutzigen, verschwitzten, stinkenden Klamotten in eine Ecke und schrubbt sie grob ab, ihre Haare, ihrenBusen, unter den Achseln, den Intimbereich. Seine Hände sind überall. Sie macht während der Prozedur die Augen zu, spürt das zu heiße Wasser, traut sich aber nicht, etwas zu sagen. Sie weiß nicht, ob der Schatten ein Mann ist oder eine Frau.
Die Hände sind jedenfalls hart und groß. Sie glaubt, es ist sicherer, nichts zu wissen.
Für später.
Falls es ein Später geben wird.
Anschließend wird sie mit einem harten, aber sauber riechenden Handtuch abgerubbelt und mit einer zitronig duftenden
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