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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Lotion eingecremt. Ihre frisch gewaschenen, verfilzten Haare werden frisiert und geföhnt, und auch das tut weh. Aber sie sagt nichts, obwohl ihr die Tränen in die Augen schießen, nicht nur deshalb, weil es wehtut, sondern weil sie genau weiß, was jetzt passieren wird, und dass sie danach wieder beschmutzt in ihrem finsteren Verlies landen wird, wo man ihr einmal täglich durch eine kleine Klappe etwas zu essen und zu trinken hereinschiebt, was sie schluckt und verdaut, weil sie sonst sterben würde.
    Und sie will nicht sterben. Immer noch nicht. Auf gar keinen Fall.
    Immer noch glaubt sie daran, dass jemand sie retten wird, weil es gar nicht möglich ist, jemanden so zu quälen und dann noch umzubringen.
    Das gibt es nicht auf der Welt.
    So viel Bösartigkeit kann sie sich nicht vorstellen, obwohl sie doch schon alles erlebt hat.
    Am Morgen bin ich bereits um halb sechs Uhr wach und schleiche in die Küche. Auf dem Kühlschrank steht ein altes Radio. Obwohl ich weiß, wie unwahrscheinlich es ist, dass es jetzt schon Neuigkeiten zum Fall Anne gibt, schalte ich es ein.In den Nachrichten wird gemeldet, dass das Mädchen Anne immer noch nicht gefunden worden sei. Sachdienliche Hinweise nehme jede Polizeidienststelle entgegen.
    Ich mache mir einen starken Kaffee und setze mich auf das breite Fenstersims. Langsam rauche ich eine Zigarette. Draußen dämmert es und es ist ganz still. Ich denke an Anne.
    In meinem Bewusstsein verschmilzt sie mit dem Mädchen, das ich verfolgt habe und dessen Namen ich nicht einmal kenne.
    Ich überlege, wie ich den Überfall gestaltet hätte und wohin ich Anne gebracht hätte, wenn alles funktioniert hätte.
    Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Ich ziehe meine Sportklamotten an, stülpe die Kapuze über und gehe nach draußen. Die Straßen sind immer noch ganz ruhig, die Luft ist kalt, aber noch nicht frostig. Mein Atem dampft vor meinem Gesicht, als ich in einen leichten Laufschritt verfalle. Bis zum »Jensen«, dem Lokal, wo Anne zuletzt gesehen wurde, sind es zehn Minuten.
    Als ich davorstehe, ist es so, als würde eine neue Erinnerung in mir hochsteigen, um sich dann gleich wieder zu verflüchtigen wie eine Rauchwolke.
    Ich begebe mich auf die andere Straßenseite und laufe dort auf der Stelle, um keinen Verdacht zu erregen. Das »Jensen« wird jetzt im Bewusstsein der Bevölkerung wie ein potenzieller Tatort wahrgenommen, und es ist sicher nicht gut, sich zu so einer ungewöhnlichen Tageszeit grundlos davor aufzuhalten.
    Ein altes Mütterchen kommt auf mich zu, wechselt aber vorher die Straßenseite. Ich mache mich wahrscheinlich verdächtig, vor allem mit der Kapuze, die mein halbes Gesicht verdeckt. Aber das ist mir jetzt plötzlich egal.
    Ich stelle mir Anne vor, wie sie das Lokal verließ, vielleicht feststellte, dass die Straße leerer war, als sie gedacht hatte. Vielleicht hatte sie Angst. Ich versuche mich in sie hineinzuversetzen. Ja, sie hatte bestimmt Angst, zumindest aber ein unbehagliches Gefühl.
    In Gedanken bin ich jetzt hinter ihr.
    Ich weiß nicht, wo sie wohnt, aber aus irgendeinem Grund glaube ich, dass sie nach links gegangen ist, als sie das Lokal verlassen hat. Ich bleibe auf der anderen Straßenseite und behalte ihre imaginäre schlanke Gestalt im Auge, bilde mir ein, das Klappern ihrer Stiefeletten zu hören. Sie geht aufrecht und zügig wie jemand, der versucht, Sicherheit auszustrahlen, nimmt ihr Handy aus der Tasche, tippt im Laufen eine kurze SMS , steckt das Telefon wieder ein.
    Plötzlich verschwindet sie nach links in eine halb versteckte Straße, hektisch, als wollte sie jemanden abschütteln. Aber ich bleibe hinter ihr. Die Straße heißt Haager Weg und sie ist ganz schmal, eine Einbahnstraße. Sie kommt mir vage bekannt vor, ich kann mich aber auch irren.
    Das Phantom des Mädchens löst sich vor meinen Augen auf. Was ist los mit mir? Halte ich mich für einen Hellseher? Es ist lächerlich und gefährlich, was ich da tue.
    Ich bleibe in der Mitte der Straße stehen, witternd wie ein Hund. Rechts von mir parken Autos, links sehe ich mehrere Schilder auf der ganzen Länge des Bürgersteigs, die absolutes Halteverbot anzeigen, vermutlich weil sonst kein Fahrzeug mehr durchkommen würde.
    Langsam schälen sich ein paar Gebäude aus der Dämmerung. Rechts ein lang gezogener Bungalow aus den Sechzigerjahren mit fleckiger, schäbiger Fassade, vielleicht ein kleiner Handwerksbetrieb, bei dem es aufs Aussehen nicht ankommt. Links befindet sich ein

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