Das Falsche in mir
wie das Mädchen die Substanz einatmet und dann für kurze Zeit euphorisch und willenlos wird, bis die Droge ihre Wirkung verliert. Er stellt sich vor, wie er sie küsst und ihr dann das Messer an die Kehle setzt. Wie sie alles mitbekommt. Aber sich nicht wehren kann. Wie sie erkennt, dass alles zu spät ist.
Erster Teil
1
Bisher war ich sicher, dass ich alles richtig gemacht hatte. Ich hatte den richtigen Beruf gewählt. Ich hatte die richtige Frau geheiratet – dunkelhaarig, kraftvoll, rassig, selbstbewusst genug, mich in Ruhe zu lassen.
Ich hatte zwei Mädchen gezeugt.
Ich gebe zu, das war dumm.
Aber ich konnte nicht wissen, dass beide so blond und so zart werden würden wie Marion. Marion, meine Liebe, mein Menetekel, meine Nemesis.
Jetzt laufe ich abends durch die Straßen auf der Suche nach ihr. Sie ist zart und schlank, vielleicht sechzehn, siebzehn Jahre alt. Unter dem ockerfarbenen Schein der Straßenlaternen leuchtet ihr blondes, glattes Haar wie ein Goldhelm und wird zum wehenden Schatten, sobald sie die Dunkelheit wieder verschluckt.
Tagsüber war es stürmisch, und der Wind hat rot glühende Ahornblätter auf Straßen und Bürgersteige geweht, die jetzt farblos und schlapp auf dem nassen Kopfsteinpflaster liegen. Es nieselt leicht, die Feuchtigkeit legt sich wie ein Schleier auf Gesicht und Haare.
Sie, die natürlich nicht Marion ist, läuft vor mir mit langen, schlaksigen Schritten, ohne Angst, ohne Gespür für die Gefahr. Sie hatte von fünf bis sechs Uhr Klavierstunde in der Harlemgasse und ist auf dem Weg nach Hause, so wie jeden Mittwoch.
Ich weiß nicht, wie gut sie schon spielt. Ich kenne sie erst seit ein paar Wochen. Das erste Mal traf ich sie vor der Wohnungihrer Klavierlehrerin. Ich war auf dem Weg zu einem Kunden, und mein Blick fiel auf eine Tür, neben der ein Metallschild mit Vor- und Nachnamen und der Aufschrift »Klavierunterricht« prangte, als handele es sich um eine Arzt- oder Rechtsanwaltspraxis. Während ich mir darüber noch Gedanken machte, stürzte sie heraus und wir stießen beinahe zusammen. Es ergab sich ein kurzes Geplänkel – »Ach, bitte entschuldigen Sie« – »Nein, das macht doch nichts« –, dann winkte sie mir ausgelassen zu und rannte die Straße hinunter, und ich musste sie gehen lassen.
Aber ich kam eine Woche später genau zur selben Zeit wieder und wartete auf sie. Gegenüber des Hauses befindet sich eine Straßenbahnhaltestelle, von der aus man die Tür gut im Blick hat. Ich musste mich einfach nur auf die Bank in dem überdachten Glaskasten setzen und warten.
Man kann mein Glück und meine Verzweiflung nicht beschreiben, als sie tatsächlich auf die Straße trat, mit den leichten ungezwungenen Bewegungen eines Mädchens, das geliebt wird und ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass das für immer so bleibt. Sie trug das Gleiche wie letzten Mittwoch: einen Parka in militärischem Olivgrün, enge Jeans und bis zu den Knöcheln reichende Stiefeletten. Ihr Gesicht sah rosig aus, als wäre sie gerannt. Alles in mir brannte, mein Körper wurde zum Minenfeld, eine versehentliche Berührung hätte mich explodieren lassen. Ich glühte vor Verlangen.
Es ist nicht Liebe. Es ist hundertmal stärker und schrecklicher.
Das Mädchen biegt nach links in die Samoastraße ein. Ich bleibe hinter ihr. Vom Lessingdamm aus läuft sie Richtung Stargarder Straße und verlässt damit den belebten Teil der Stadt mit der Straßenbahnlinie und den vielen Geschäften und Lokalen. Nachts kommt es in dieser Gegend immer wieder zu Schlägereien, auch die örtliche Drogenszene ist hier angesiedelt, deswegen hört man häufig Polizeisirenen.
Die Stargarder Straße ist ruhiger, gewunden und schmal, gesäumt von hohen Altbauten. Zu dieser Tageszeit ist sie wie ausgestorben. Jetzt sind die Berufstätigen zu Hause, bereiten das Abendessen vor, versuchen, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, verzweifeln vor leeren Augen, Lustlosigkeit und demonstrativer Begriffsstutzigkeit. Ich kenne das alles, ich wohne in einer ähnlichen Straße im selben Viertel und habe auch halbwüchsige Kinder.
Ich will diesem Mädchen nichts tun. An diese Überzeugung klammere ich mich. Auch wenn ich weiß, dass ich ihr von Mal zu Mal näherkomme. Auch wenn ich perfekt darin bin, mich unsichtbar zu machen. Auch wenn die Szenarien in meinem Kopf immer unbeherrschbarer werden.
Niemand außer uns beiden ist unterwegs. Ich gehe ein bisschen schneller, höre meinen Atem. Nun ist sie direkt vor
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