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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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Holzseife und Pfingstrosen riecht, werde ich es weiterverkaufen zum doppelten Preis.
    Ist dir das recht, Liam?
    Da ist er. Steht am Meeresufer und blickt hinaus auf die Wogen.
    Ist dir das recht?
    Er sieht aus wie ein junger Komparse in einem Film. Er trägt einen ausgebeulten braunen Anzug, wie er ihn im wirklichen Leben niemals tragen würde, und eine irische Schiebermütze auf dem schwarz gelockten Schopf. Wie er so in die Nacht hinausspäht, hat er Krähenfüße um die irisch blauen Augen. Er ist nicht allein. Weiter oben ist noch ein anderer Mann zu sehen, auf einer Landzunge steht ein Junge. Auf jedem Gipfel und jedem Vorgebirge stehen diese Wächter und schauen hinaus aufs Meer.
    Es ist wie eine Guinness-Werbung, nur rührt sich keiner.
    Über ihnen setzt ein riesiges Flugzeug zur Landung an. Das erste des Tages, das arktischen Frost hinter sich herzieht. New York, Neufundland, Grönland, Portrane. Es ist sechs Uhr morgens. Zeit, umzukehren und nach Hause zu fahren.
    Ich steige ein und greife nach dem Schlüssel, der im Zündschloss erkaltet ist. Es ist März. Es ist fast fünf Monate her, dass Liam gestorben ist. Ciaras Baby, das ihm begegnete, als er zur Tür hereinkam, ist inzwischen einen Monat alt. Mein eigenes letztes Kind, das Kind, das ich mit Tom haben könnte, ist es allmählich müde, noch länger zu warten. Ich drehe den Zündschlüssel und lasse den Motor an.
    Liam wendet sich um und blickt mir nach. Er weiß nicht, wer ich bin oder was das Meer ist oder was für ein Stadtteil Broadstone sein mag. Er ist voll von seinem eigenen Tod. Sein Tod füllt ihn aus, wie eine Pflaume ihre Schale ausfüllt. Selbst seine Augen sind randvoll. Tot zu sein ist eine ernste Angelegenheit. Er möchte es gern gut machen. Er kehrt sich ab vom verwirrenden Scheinwerferlicht des Wagens und richtet sein Gesicht aufs Meer.
    Ich fahre wieder die Hauptstraße hinauf, aber das Auto will nicht nach Hause. Stattdessen fahre ich zum Flughafen, und nach einer kurzen Weile besteige ich ein Flugzeug.

37
    Selbstmorde ziehen stets eine große Menschenmenge an. Die Leute drängen herein, verstopfen die Türen und schlängeln sich die hinteren Bänke entlang, versammeln sich am Rand des Kirchenschiffs. Sie finden sich aus Prinzip ein, denn bei einem Selbstmord sind alle Hinterbliebene.
    Ich wünsche mir, sie wären zu Hause geblieben.
    Ich stehe im Kirchenportal und warte auf die Limousine mit den Hinterbliebenen, die vom Griffith Way eintreffen soll. Tom jagt Emily durch eine Bank. Rebecca steht neben mir und will meine Hand nicht loslassen. Ich bin froh, unter all diesen Leuten, Fremden und Freunden, die mein Gesicht mustern und mich nicht – noch nicht – grüßen, die Ablenkung der Kinder zu haben. Ich bemuttere sie, rüge Emily und schicke sie zusammen mit ihrem Vater nach vorn: Er braucht einen Vorsprung, um sie an der Kiste am Ende des Mittelgangs vorbeizubugsieren.
    Eine Frau bahnt sich durch die Menge einen Weg zu mir. Ich kenne sie von irgendwoher – wenn ich mich nur daran erinnern könnte, von woher, dann würde mir vielleicht ihr Name einfallen und was sie von mir will. Sie hat geweint, das ist das Peinliche daran. Jeder kann dich besabbern, denke ich, wenn du erst einmal tot bist.
    Sie ist hochgewachsen und schwarzhaarig, und das sollte genügen, daran sollte ich sie erkennen können, und an dem leicht gequälten Ausdruck einer Frau, die ebenso gekränkt wie sanftmütig ist. Sie sieht sich um, bis sie mich entdeckt – wusste ich’s doch, dass sie mich gesucht hat -, und dann kommt sie auf mich zu, zwängt sich mit unbeholfener Anmut zwischen den anderen Kirchgängern hindurch. Sie ist ganz Hüfte und Schulter, in einem champignonfarbenen Trenchcoat und einem beigen Wollkleid.
    Und dann erinnere ich mich an sie, von jenem entsetzlichen Besuch her, als ich die Handwerker dahatte und in den Schlafzimmern der Mädchen der Fußboden aufgerissen war, und mitten in dem Durcheinander kreuzt Liam mit dieser Frau auf, die zu nichts eine Meinung hat. Nicht einmal dazu, was sie essen will.
    Ich weiß nicht, wie lange Liam mit ihr zusammengelebt oder in ihrem Einzelbett geschlafen hat oder was immer er mit seinen verhängnisvollen Mädchen anstellte. Und ich kann mich beim besten Willen nicht an den Namen dieses Mädchens erinnern. Aber ich weiß noch, dass ich sie, als sie nach Mayo aufbrachen, recht gernhatte, mit ihren langen nervösen Händen, ihrer blau geäderten Haut und ihrem langweiligen Haarknoten. Ich weiß noch,

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