Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
Vom Netzwerk:
anderes gebührte.
    Und er hat sie geliebt !, sagte ich, dumme Närrin, die ich bin. Er muss sie geliebt haben!
    Doch was die Liebe betraf, so war Nugent nur ein Schmalspurliebhaber, er hatte nicht allzu viel davon zu verschenken. Er hatte das Haus, und er hatte – mehr oder weniger – die Frau, und mit den Kindern, die durch das Haus geschleust wurden, verfuhr er nach Belieben. Selbst die Gratifikationen, die er gewährte, waren klein. Denn Kinder waren damals ohne großen Belang. Wir drei Hegartys waren ganz offenkundig ohne großen Belang .
    Wenn Nugent ein Kind erblickte, so erblickte er Rache – daran habe ich keinen Zweifel – und einen Ausweg aus alldem, das ganze öde Geschäft menschlichen Tauschhandels, das ein Mann auf sich nehmen muss, um zu bekommen, was er will.
    Führen Sie es sich doch mal vor Augen: die Bitterkeit des Mannes und die Schönheit des Knaben.

36
    Eines Abends gebe ich es auf, den Wagen hierhin oder dorthin zu lenken, und lasse ihn fahren, wohin er will, was wie immer nach Norden ist, diesmal vorbei am Buckel von Howth Head und weiter zur Straße nach Swords, die ganze Strecke bis nach Portrane.
    Ich komme an der Anstalt vorbei und biege ab, hinunter zum Meer, dann halte ich am Eingangstor zu dem kleinen Acker an, in dessen Mist der mathematische Kopf meines Onkels liegt. Ernest zufolge, der den Gemeindepfarrer kennt, sind hier mehr als fünftausend Menschen beigesetzt. Das überrascht mich überhaupt nicht. Aus den Gemäuern steigt ein Kubus panischen Schreckens auf. Die Luft am Eingangstor gibt dasselbe Summen von sich, wie man es immer unter Hochspannungsleitungen hört.
    Ich bleibe eine Weile stehen und spüre, wie auch meine Haare stehen, zu Berge stehen.
    Der Mond ist aufgegangen. Am Strand in der Ferne bricht sich lautlos eine lang gestreckte weiße Woge. Unter mir klatscht das Meer gegen die Felsen, aufgewühlt von Gegenströmungen und einem fernen Sturm. Es geht kein Wind.
    Ich stehe da und denke, dass es keinen schlimmeren Ort gibt, den ich aufsuchen könnte. Dies ist der schlimmste Ort, den es gibt.
    Was nicht gar so schlimm ist. Falls dies das ganze Ausmaß meiner Verrücktheit ist, dann ist es nicht gar so verrückt. Meine Kinder werden dadurch keinen Schaden nehmen, allerdings sollte ich mein Leben vielleicht ein wenig umstellen: öfter ausgehen, den Saab in Zahlung geben.
    In der Immobilienbeilage – Toms kleiner Morgengabe auf dem Küchentisch – wurde diese Woche ein Haus in Adas Straße zum Verkauf angeboten. Es ist nicht Adas Haus, jedenfalls noch nicht, aber alle Welt verkauft und zieht um, und es könnte jederzeit auf den Markt kommen. Ich könnte mich Schritt für Schritt heranpirschen, an Adas Haus. Ich könnte dieses Haus weiter oben in der Straße erwerben, es renovieren und weiterverkaufen, bis der Tag gekommen ist – in nicht allzu weiter Ferne, davon bin ich überzeugt – und ich in Adas guter Stube stehen, einen Zipfel der Tapete anheben und mich mit einem netten Architekten darüber unterhalten werde, wie das Haus zu entkernen wäre. Ich werde einen Hosenanzug in gedecktem Farbton und unglaublich alberne Stilettos tragen, klick-klack auf den bloßen Dielenbrettern umherstaksen und ihm dabei Anweisungen geben, dass er die gelbe Zimmerdecke und die klammen Wände herausreißen und die Tür zur guten Stube demolieren, den Keramikspülstein in der kleinen Küche, vor dem ich zum Fenster hinausschaute und mir Dinge vorzustellen lernte, dagegen erhalten soll. Wir, mein Architekt und ich, werden in Begeisterungsrufe über die kleine Rose an der Zimmerdecke und den hübschen Kamin ausbrechen, in dem alles Mögliche verbrannt wurde: Briefe, Buchmacherzettel, Schweinefett, die Haare aus Adas Bürste, die mit einem Zischen verglühten. Ich werde ihn bitten, das Haus mit einem richtig starken Desinfektionsmittel zu reinigen, ich will keine Frau mit einem Mopp, werde ich sagen, ich will eine Kolonne von Männern in Overalls, mit Tanks auf dem Rücken und Hochdruckreinigern aus Stahlstangen.
    Und die Garage – die Garage werden wir in einen Arbeitsbereich mit Dachfenstern und weißen Wänden umbauen, und auf dem alten Estrich werde ich breite Dielenbretter verlegen lassen. Eiche.
    »Was halten Sie von Eiche?«, werde ich fragen.
    Eine Zeit lang werde ich das Haus vermieten. Und nett zu den Mietern sein. Und wenn ich mit allem fertig bin. Mit allem gründlich fertig bin. Wenn ich alles kurz und klein geschlagen habe und es wunderbar sauber, aber altmodisch nach

Weitere Kostenlose Bücher