Das fehlende Glied in der Kette
Instinkt?»
«Der Instinkt, der mich dazu verleitete, diese Kaffeetassen zu untersuchen. Chut! Leise jetzt.»
Wir folgten John in sein Arbeitszimmer und er schloss die Tür hinter uns.
Mr. Wells war ein sympathischer Mann in mittleren Jahren mit scharfen Augen und dem typischen Mund eines Rechtsanwalts. John stellte uns beide vor und erläuterte den Grund unserer Anwesenheit.
«Sie werden verstehen, Wells, dass das hier streng vertraulich ist. Wir hoffen immer noch, dass sich jedwede Untersuchung als überflüssig erweisen wird.»
«Ganz recht, ganz recht», erwiderte Mr. Wells besänftigend. «Ich wünschte, ich könnte Ihnen die Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Voruntersuchung ersparen, aber da es keinen ärztlichen Totenschein gibt, lässt sich das nicht vermeiden.»
«Ja, das ist begreiflich.»
«Ein kluger Mann, dieser Bauerstein. Ein bedeutender Toxikologe, wie ich gehört habe.»
«In der Tat», sagte John mit einer gewissen Reserviertheit. Dann fügte er eher zögernd hinzu: «Werden wir dort als Zeugen erscheinen müssen? Alle – meine ich?»
«Sie natürlich – und, hm, äh – Mister, äh, Inglethorp.»
Eine kurze Pause trat ein, bevor der Rechtsanwalt in seiner beschwichtigenden Art fortfuhr: «Alle anderen Zeugenaussagen haben lediglich eine bestätigende Funktion, reine Formsache.»
«Ich verstehe.»
Über Johns Gesicht huschte ein Ausdruck der Erleichterung. Das wunderte mich, denn ich sah keinen Anlass dafür.
«Wenn Sie gestatten, würde ich gern den Freitag dafür ansetzen. Dann hätten wir noch ausreichend Zeit, um den Bericht des Arztes abzuwarten. Die Autopsie soll heute Abend durchgeführt werden, nicht wahr?»
«Ja.»
«Dann sind Sie mit dem Termin einverstanden?»
«Aber ja.»
«Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr mich diese höchst unglückselige Angelegenheit erschüttert hat, mein lieber Cavendish.»
«Könnten Sie uns vielleicht etwas bei der Klärung der Angelegenheit unterstützen, Monsieur?», schaltete sich Poirot ein, der bisher kein Wort gesprochen hatte.
«Ich?»
«Ja. Wir hörten, dass Mrs. Inglethorp Ihnen gestern Abend noch geschrieben hat. Sie hätten den Brief heute Morgen erhalten haben müssen.»
«Das stimmt, aber er enthält keine Information, lediglich die Aufforderung, sie heute Morgen aufzusuchen, da sie meinen Rat in einer höchst dringenden Angelegenheit brauche.»
«Sie gab keinerlei Hinweis, worauf sich das bezog?»
«Leider nein.»
«Das ist bedauerlich», sagte John.
«Sehr bedauerlich», stimmte Poirot ihm ernst zu.
Es entstand ein Schweigen. Poirot schien wieder in Gedanken versunken. Schließlich wandte er sich erneut an den Rechtsanwalt.
«Mr. Wells, da gibt es noch etwas, das ich Sie fragen möchte – das heißt, falls es nicht gegen die berufliche Etikette verstößt. Wer wird nach Mrs. Inglethorps Tod ihr Vermögen erben?»
Der Rechtsanwalt zögerte kurz, dann antwortete er: «Das wird ohnehin demnächst bekannt – wenn Mr. Cavendish also nichts dagegen hat – »
«Überhaupt nichts», warf John ein.
«Dann sehe ich keinen Grund, weshalb ich Ihre Frage nicht beantworten sollte. In ihrem letzten Testament vom August vergangenen Jahres vermachte sie ihr gesamtes Vermögen nach Abzug einiger unbedeutender Summen an Dienstboten ihrem Stiefsohn, Mr. John Cavendish.»
«War das – verzeihen Sie die Frage, Mr. Cavendish – nicht ziemlich ungerecht gegenüber ihrem anderen Stiefsohn, Mr. Lawrence?»
«Nein, das finde ich nicht. Denn sehen Sie, nach den Bestimmungen im Testament seines Vaters sollte John den Landbesitz erben, Lawrence hingegen sollte nach dem Tod seiner Stiefmutter ein beträchtliches Vermögen erben. Mrs. Inglethorp hinterließ ihr eigenes Geld ihrem älteren Stiefsohn, weil sie wusste, dass er Styles erhalten musste. Es war meiner Ansicht nach eine sehr gerechte und gleichmäßige Verteilung.»
Poirot nickte nachdenklich.
«Ich verstehe. Aber wurde das Testament durch die Heirat mit Mr. Inglethorp auf Grund des englischen Erbrechts nicht automatisch ungültig?»
Mr. Wells neigte den Kopf.
«Wie ich gerade ausführen wollte, Monsieur Poirot, ist dieses Dokument jetzt null und nichtig.»
«C ’ est ca!», sagte Poirot. Er überlegte kurz und fragte dann: «War Mrs. Inglethorp diese Tatsache bekannt?»
«Das weiß ich nicht. Vielleicht wusste sie es.»
«Sie wusste es», sagte John überraschenderweise. «Erst gestern sprachen wir darüber, dass ein Testament durch eine Heirat aufgehoben
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