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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gegen meinen Willen lachen musste, und wir gingen gemeinsam zum Salon, wo die Kaffeetassen und das Tablett noch genau so dastanden, wie wir sie zurückgelassen hatten.
    Poirot ließ mich die Szene des gestrigen Abends noch einmal rekapitulieren, hörte sehr aufmerksam zu und überprüfte, wo die verschiedenen Tassen gestanden hatten.
    «Demnach stand also Mrs. Cavendish beim Tablett und schenkte ein. Ja. Dann kam sie dorthin zum Fenster, wo Sie mit Mademoiselle Cynthia saßen. Ja. Hier sind die drei Tassen. Und die halb ausgetrunkene Tasse auf dem Kaminsims ist dann wohl die von Mr. Lawrence Cavendish. Und die auf dem Tablett?»
    «Das war die von John Cavendish. Ich sah, wie er sie dort abstellte.»
    «Gut. Eins, zwei, drei, vier, fünf – aber wo ist denn dann die Tasse von Mr. Inglethorp?»
    «Er trinkt keinen Kaffee.»
    «Dann haben wir ja alle. Einen Augenblick, mein Freund.»
    Mit unendlicher Behutsamkeit nahm er ein oder zwei Tropfen von dem Kaffeerest aus jeder Tasse, probierte davon und füllte ihn jeweils in ein Röhrchen, das er dann verschloss. Seine Mimik veränderte sich von Mal zu Mal auf seltsame Weise. Zum Schluss hatte er einen Ausdruck im Gesicht, den ich nur mit halb verdutzt und halb erleichtert beschreiben kann.
    «Bien!», sagte er schließlich. «Es ist sonnenklar! Mir kam so eine Idee – aber ich habe mich wohl offensichtlich geirrt. Ja, ich habe mich völlig geirrt. Aber es ist sonderbar. Na, egal.»
    Und mit einem charakteristischen Achselzucken verwarf er, was auch immer ihm Sorgen gemacht hatte. Ich hätte ihm schon zu Anfang sagen können, dass seine Dickköpfigkeit bezüglich des Kaffees ihn in eine Sackgasse führen würde, aber ich hielt mich zurück. Schließlich war Poirot seinerzeit ein bedeutender Mann gewesen, auch wenn er jetzt gealtert schien.
    «Das Frühstück ist fertig.» John Cavendish war aus der Halle in den Salon gekommen. «Sie essen doch mit uns, Monsieur Poirot?»
    Poirot nahm die Einladung dankend an. Ich sah mir John genauer an. Er war schon fast wieder ganz sein früheres Selbst. Der Schock nach den Ereignissen der letzten Nacht hatte ihm zeitweilig sehr zugesetzt, aber er hatte schon bald sein inneres Gleichgewicht wiedergewonnen. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder besaß er nicht viel Phantasie. Der wiederum hatte eher zu viel.
    Seit den frühen Morgenstunden hatte John hart gearbeitet, Telegramme verschickt – eins der ersten ging an Evelyn Howard –, Anzeigen für die Zeitungen verfasst und all die traurigen Pflichten erfüllt, die der Tod mit sich bringt.
    «Darf ich fragen, wie die Dinge stehen?», erkundigte er sich. «Weisen Ihre Untersuchungen darauf hin, dass meine Mutter eines natürlichen Todes starb oder müssen wir uns auf das Schlimmste gefasst machen?»
    «Ich glaube, Mr. Cavendish, dass Sie sich lieber keine falschen Hoffnungen machen sollten», sagte Poirot ernst. «Können Sie mir sagen, wie die anderen Mitglieder Ihrer Familie darüber denken?»
    «Mein Bruder Lawrence ist davon überzeugt, dass wir viel Lärm um nichts machen. Er sagt, alles deute darauf hin, dass es ein einfacher Fall von Herzversagen war.»
    «Ach, das denkt er? Das ist ja hochinteressant – hochinteressant», murmelte Poirot leise. «Und Mrs. Cavendish?»
    Johns Gesicht verfinsterte sich für einen Moment.
    «Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie meine Frau darüber denkt.»
    Diese Antwort wirkte auf uns wie ein Guss kaltes Wasser.
    John unterbrach die ziemlich peinliche Stille, indem er sich einen Ruck gab und sagte: «Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Mr. Inglethorp wieder da ist?»
    Poirot neigte den Kopf.
    «Wir befinden uns da alle in einer sehr peinlichen Situation. Natürlich müssen wir uns ihm gegenüber so wie sonst benehmen – aber verdammt noch mal, da steigt einem doch die Galle hoch, wenn man sich neben einen mutmaßlichen Mörder an den Tisch setzen soll!»
    Poirot nickte verständnisvoll.
    «Das verstehe ich. Es ist eine schwierige Situation für Sie, Mr. Cavendish. Ich würde Ihnen gern eine Frage stellen. Mr. Inglethorp ist gestern Nacht nicht zurückgekommen, weil er, wenn ich mich recht erinnere, seinen Hausschlüssel vergessen hatte. Stimmt das?»
    «Ja.»
    «Sie sind also ganz sicher, dass der Hausschlüssel auch wirklich vergessen wurde – dass er ihn nicht doch mitgenommen hatte?»
    «Keine Ahnung. Ich kam nie auf die Idee nachzuschauen. Wir bewahren ihn immer in der Kommode in der Halle auf. Ich gehe mal nachschauen, ob er da

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