Das fehlende Glied in der Kette
Ganze ist wahrscheinlich eine Schnapsidee von mir.»
«Aber in einer Sache haben Sie ganz Recht: Es ist immer klug, alle zu verdächtigen, bis man auf logische Weise und überzeugend beweisen kann, dass jemand unschuldig ist. Was spräche denn nun gegen die Vermutung, dass Miss Howard absichtlich Mrs. Inglethorp vergiftet hätte?»
«Aber sie war ihr doch so zugetan!», rief ich aus.
«Ts, ts!», machte Poirot gereizt. «Sie argumentieren wie ein Kind. Falls Miss Howard im Stande war, die alte Dame zu vergiften, hätte sie auch sicherlich ihre Zuneigung heucheln können. Nein, wir müssen anders argumentieren. Sie haben völlig Recht, ihr Hass gegen Alfred Inglethorp ist viel zu übertrieben, um echt zu sein. Aber Ihre Schlussfolgerung daraus ist falsch. Ich habe meine eigenen Schlüsse gezogen und halte die auch für richtig, aber ich möchte momentan noch nicht darüber sprechen.» Er hielt kurz inne, dann fuhr er fort: «Meiner Ansicht nach spricht eine unumstößliche Tatsache gegen Miss Howard als Mörderin.»
«Und die wäre?»
«Miss Howard hat keinerlei Vorteil durch Mrs. Inglethorps Tod. Und es gibt nun mal keinen Mord ohne Motiv.»
Ich überlegte. «Könnte Mrs. Inglethorp nicht ein Testament zu ihren Gunsten gemacht haben?»
Poirot schüttelte den Kopf.
«Aber Sie haben doch Mr. Wells auf diese Möglichkeit hingewiesen.»
Poirot lächelte. «Das hatte seinen Grund. Ich wollte nicht den Namen der Person nennen, an die ich dabei eigentlich dachte. Miss Howard nimmt eine ziemlich ähnliche Stellung ein, deshalb nannte ich ihren Namen.»
«Aber Mrs. Inglethorp hätte es doch trotzdem tun können. Vielleicht war sogar das Testament, das sie an ihrem Todestag machte, genau das, was…»
Aber Poirot schüttelte so energisch den Kopf, dass ich innehielt.
«Nein, mein Freund. Ich habe ein paar ganz bestimmte kleine Ideen bezüglich dieses Testaments. Aber ich kann Ihnen so viel verraten – es war nicht zu Miss Howards Gunsten.»
Ich akzeptierte seine Theorie, aber ich begriff nicht, wie er sich seiner Sache so sicher sein konnte.
Ich seufzte. «Dann werden wir Miss Howard also freisprechen. Eigentlich ist es zum Teil Ihre Schuld, dass ich sie überhaupt verdächtigt habe, weil Sie während der Untersuchung etwas zu Miss Howards Aussage bemerkten, was mich darauf brachte.»
Poirot sah mich fragend an.
«Was habe ich denn über ihre Aussage bei der Untersuchung gesagt?»
«Wissen Sie das nicht mehr? Als ich behauptete, sie und John stünden außerhalb jeden Verdachts?»
«Ach – äh – ja.» Er schien ein bisschen verwirrt, aber er riss sich zusammen. «Übrigens, Hastings, es gibt etwas, was Sie für mich tun könnten.»
«Gern. Was wäre das?»
«Wenn Sie das nächste Mal mit Lawrence Cavendish zusammen sind, sagen Sie bitte Folgendes zu ihm: ‹Ich habe eine Nachricht von Poirot für Sie. Finden Sie die überzählige Tasse und Sie können beruhigt sein!› Nicht mehr und nicht weniger.»
«Finden Sie die überzählige Tasse und Sie können beruhigt sein?», vergewisserte ich mich verblüfft.
«Ausgezeichnet.»
«Aber was soll das bedeuten?»
«Das dürfen Sie getrost selbst herausfinden. Sie kennen ja alle Tatsachen. Sagen Sie das einfach zu ihm und merken Sie sich, was er antwortet.»
«Na gut – aber das ist alles äußerst geheimnisvoll.»
Wir waren inzwischen in Tadminster angekommen und Poirot wies dem Chauffeur den Weg zu dem chemischen Labor.
Poirot stieg eilig aus und ging hinein. Kurze Zeit später kam er wieder zurück.
«So, das hätten wir erledigt.»
«Was haben Sie denn dort gewollt?», fragte ich neugierig.
«Ich hab ihnen etwas zum Analysieren gebracht.»
«Ja, aber was?»
«Den Kakaorest aus dem Topf im Schlafzimmer.»
«Aber der ist doch schon untersucht worden!», rief ich verblüfft aus. «Dr. Bauerstein hat ihn untersucht und Sie selbst haben die Möglichkeit, dass er Strychnin enthalten könnte, als lächerlich abgetan.»
«Ich weiß, dass Dr. Bauerstein ihn untersucht hat», erwiderte Poirot ruhig.
«Ja, und?»
«Ich wollte ihn einfach noch einmal untersuchen lassen, das ist alles.»
Danach konnte ich ihm kein weiteres Wort mehr zu dem Thema entlocken.
Was Poirot mit dem Kakao vorhatte, war mir rätselhaft. Ich konnte mir darauf überhaupt keinen Reim machen. Nachdem ich zwischenzeitlich kurz an ihm gezweifelt hatte, vertraute ich ihm nun wieder völlig, seitdem sich sein Glaube an Alfred Inglethorps Unschuld auf so triumphale Weise bestätigt
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