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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Details steigert seine
Bedeutung. Nur jemandem wie mir, der in einem Vakuum totalen Müßiggangs
schmorte, konnte sie überhaupt auffallen.
    Danach regte sich in der Wohnung nichts
mehr, soweit man das anhand der Fenster beurteilen konnte. Er mußte entweder
weg- oder ebenfalls zu Bett gegangen sein. Drei der Rollos waren nun
hochgezogen, nur das, hinter dem sich das Schlafzimmer verbarg, blieb unten.
Sam, der sich tagsüber um mich und meinen Haushalt kümmerte, kam wenig später
mit den Eiern und der Morgenzeitung herein, und ich hatte etwas, womit ich mir
eine Weile die Zeit vertreiben konnte. Ich hörte auf, mir Gedanken über die
Fenster anderer Leute zu machen und zu ihnen hinüberzuschauen.
    Den ganzen Morgen lang fiel das
Sonnenlicht auf die eine Seite des rechteckigen Lochs, dann verzog es sich, für
den Nachmittag, hinüber auf die andere Seite. Schließlich begann es sich ganz
zurückzuziehen, und es war Abend — wieder war ein Tag vorbei.
    Rings um das Viereck begannen die
Lichter anzugehen. Hier und da warf eine Hauswand, wie ein Resonanzboden, einen
Programmfetzen aus einem zu laut eingestellten Radio zurück. Wenn man genau
hinhörte, konnte man darunter gelegentlich das Klappern von Geschirr hören,
ganz schwach nur, weit weg. Die Kette der kleinen Gewohnheiten, die ihr Leben
ausmachten, spulte sich ab. In die waren sie enger eingeschnürt als jemals
irgendein Gefängnisinsasse in eine Zwangsjacke, obwohl sie allesamt meinten,
frei zu sein. Die beiden jungen Nervenbündel brachen auf zu ihrem
allnächtlichen Ausflug in die große Freiheit, vergaßen, das Licht auszumachen,
er kam wieder angerannt, knallte seinen Fingerabdruck auf die Lichtschalter,
und bis in die frühen Morgenstunden blieb die Wohnung dunkel. Die Frau legte
ihr Kind ins Bett, beugte sich wehmütig darüber, setzte sich dann voller
Verzweiflung hin und bemalte sich die Lippen.
    In der Wohnung im dritten Stock des
Hauses, das im rechten Winkel zu den anderen an dieser langen, umbauten
»Straße« stand, waren die Rollos an drei Fenstern oben geblieben, das am
vierten war den ganzen Tag heruntergezogen. Mir wurde das erst jetzt bewußt,
zuvor hatte ich diese Fenster nicht weiter beachtet. Meine Augen mögen im Lauf
des Tages gelegentlich auf ihnen verweilt haben, doch mit den Gedanken war ich
anderswo gewesen. Erst als im letzten Raum, ihrer Küche, Licht anging, wurde
mir plötzlich klar, daß sich an den Rollos den ganzen Tag über nichts verändert
hatte. Dies ließ mir sofort einen zweiten Gedanken durch den Kopf schießen: Ich
hatte die Frau den ganzen Tag über nicht gesehen. Bis gerade eben hatte ich
hinter diesen Fenstern kein Lebenszeichen wahrgenommen.
    Er war von draußen gekommen. Die
Eingangstür lag auf der anderen, dem Fenster gegenüberliegenden Seite der Küche. Er hatte den Hut noch auf, daraus schloß ich, daß er eben erst
nach Hause gekommen war.
    Er nahm ihn nicht ab. Als ob da niemand
mehr wäre, dem zuliebe er das tun müßte. Stattdessen fuhr er sich mit den
Fingern in die Haare und schob dabei den Hut nach hinten. Diese Bewegung
bedeutete nicht, daß er ihn abnehmen oder sich den Schweiß von der Stirn
wischen wollte. Das war mir klar. Wenn jemand schwitzt, dann wischt er sich von
einer Seite zur anderen über die Stirn. Diese Geste bedeutete, daß er sich
bedrängt oder unsicher fühlte. Außerdem hätte er, wenn ihm zu warm gewesen
wäre, sicher als erstes den Hut abgenommen.
    Sie kam nicht heraus, um ihn zu
begrüßen. Das erste Glied der robusten Kette alltäglicher Gewohnheiten, die uns
alle umfängt, war weit aufgesprungen.
    Sie mußte so krank sein, daß sie den
ganzen Tag über im Bett geblieben war, in dem Zimmer hinter dem herabgezogenen
Rollo. Ich sah hinüber. Er rührte sich nicht aus dem Zimmer, in dem er war,
ging nicht ins übernächste, in dem sie lag. Meine Erwartung verwandelte sich in
Überraschung, die Überraschung in Unverständnis. Merkwürdig, daß er nicht zu
ihr hineingeht, dachte ich. Oder wenigstens mal die Tür aufmacht, um zu sehen,
wie es ihr geht.
    Vielleicht schlief sie, und er wollte
sie nicht stören. Dann plötzlich der Gedanke: Aber wie kann er sicher sein, daß
sie schläft, wenn er nicht zu ihr hineinschaut. Er ist ja selbst eben erst nach
Hause gekommen.
    Er trat wieder ans Fenster und blieb da
stehen, genau wie am Morgen. Sam hatte mein Tablett schon vor einer ganzen
Weile abgeräumt, und bei mir brannte kein Licht mehr. Ich wich nicht von der
Stelle, war sicher, daß

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