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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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eigentlich gar nicht so schlimm. Er
stellte fest, daß er wieder aufstehen konnte. Vielleicht, weil er mußte. Er
trat wieder ans Geländer und sah hinab. Der Polizist war über dem
Treppengeländer zusammengeklappt und bis zur nächsten Biegung
hinuntergerutscht, so wie Kinder das oft tun. Nur daß er bäuchlings darauf lag.
Dann rutschte er auf den Boden, drehte sich auf den Rücken und blieb, die Augen
auf Paine gerichtet, liegen. Sehen konnte er ihn nicht mehr.
    Nummer vier.
     
    Paine ging weiter hinauf bis aufs Dach,
aber ziemlich langsam, es fiel ihm nicht leicht. Die Stufen kamen ihm vor wie
eine Rolltreppe, die sich in die Gegenrichtung bewegte, die versuchte, ihn nach
unten zu befördern. Er ging hinüber auf das Dach des nächsten Hauses, dort
wieder die Treppe hinunter und kam eine Straße weiter wieder ins Freie. Die
beiden Gebäude waren völlig gleich gebaut, standen Rücken an Rücken. Hinter
ihm, vor seiner eigenen Haustür, kam bereits ein Streifenwagen mit
quietschenden Reifen zum Stehen. Er konnte es übers Dach herüber hören.
    Er spürte, wie seine Kleider um die
Hüfte herum naß wurden. Dann spürte er, wie die Nässe bis zu den Knien
vordrang. An diesen Körperteilen war er nicht verletzt, also mußte er sehr
stark bluten. Er sah ein Taxi und winkte es heran. Es setzte zurück und hielt
neben ihm an. Beim Hineinsetzen verspürte er einen stechenden Schmerz. Als der
Fahrer ihn nach dem Ziel fragte, konnte er nicht sofort antworten. Jetzt
fühlten sich auch seine Socken feucht an, feucht von Blut. Er wünschte, er
könnte die Blutung bis zwanzig nach acht anhalten. Er mußte Pauline im Zug
erreichen, und das war noch eine lange Zeit, die er überleben mußte.
    Der Fahrer war bereits um die nächste
Ecke gebogen, ohne auf genauere Angaben zu warten. Dann fragte er ein zweites
Mal, wo Paine hinwollte.
    Der fragte zurück: »Wie spät ist es ?«
    »Viertel vor sechs.«
    Das Leben war furchtbar kurz — und
furchtbar schön. Er sagte: »Bringen Sie mich zum Park und fahren Sie mich da
ein bißchen spazieren .« Das war jetzt am sichersten,
das war der einzige Ort, wo sie ihn nicht suchen würden.
    Er dachte: »Ich wollte schon immer mal
im Park herumfahren. Nirgendwohin, nur einfach ganz langsam darin herumfahren.
Bis jetzt konnte ich mir das nie leisten .«
    Jetzt hatte er Geld genug. Mehr Geld
als Zeit, es auszugeben.
    Die Kugel mußte noch in ihm stecken.
Sein Rücken schmerzte nicht, also war sie nicht herausgekommen. Irgend etwas
mußte sie aufgehalten haben. Das Blut floß nicht mehr. Er spürte, wie es ihm am
Körper trocknete. Aber der Schmerz war jetzt so stark, daß er in sich
zusammensackte.
    Der Fahrer bemerkte es. »Sind Sie
verletzt ?«
    »Nein. Ich habe nur einen Krampf,
weiter nichts .«
    »Soll ich bei der nächsten Apotheke
anhalten ?«
    Paine lächelte schwach. »Nein danke. Es
geht bestimmt gleich vorbei .«
    Sonnenuntergang im Park. So friedlich,
so alltäglich. Lange Schatten auf den kurvigen Wegen. Eine Frau, die sich
beeilte, nach Hause zu kommen und einen Kinderwagen schnell vor sich herschob.
Ein paar Stadtstreicher, die es sich in der Dämmerung auf den Bänken gemütlich
machten. Ein kleiner See mit einem Ruderboot — ein Matrose auf Landurlaub
machte eine kleine Bootsfahrt mit seiner Liebsten. Ein Mann, der sein Wägelchen
mit Limonade und Popcorn nach Hause schob.
    Sterne tauchten am Himmel auf. Mal
zeichneten sich die schwarzen Umrisse der Bäume deutlich gegen den
kupferfarbenen Himmel ab, mal verschwamm alles vor seinen Augen, und es schien
ihm, als wirbele er in einem Strudel herum. Aber er kämpfte unermüdlich dagegen
an und kam jedesmal wieder zu klarem Bewußtsein. Er mußte den Zug erreichen.
    »Sagen Sie mir Bescheid, wenn es auf
acht zugeht .«
    »Okay. Ist erst viertel vor sieben .«
    Ein Stöhnen kam über Paines Lippen, als
sie über eine Unebenheit auf dem Park weg fuhren. Er versuchte, es zu
unterdrücken, aber der Fahrer hörte es trotzdem.
    »Tut immer noch weh, was ?« erkundigte er sich mitfühlend. »Sollten Sie aber was gegen
tun .« Er fing an, von seinen eigenen
Verdauungsproblemen zu reden. »Da hab ich auch Schwierigkeiten. Mir geht es
gut, solange ich keine scharfen Tacos mit Limonade bestelle. Jedesmal, wenn ich
scharfe Tacos esse und Limonade dazu trinke...«
    Plötzlich hielt er inne. Er starrte
angestrengt in den Rückspiegel. Paine zog vorsichtig die Jacke über seinem
dunkel verfärbten Hemd zusammen. Er wußte, daß ihm das jetzt

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