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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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schien sie
nicht zu bemerken, schaute sogar in eine andere Richtung.
    Sie verließ den Vorhof, der eine
Einkerbung in der Gebäudefront bildete, verschwand vorne an der Straße um die
Ecke des Hauses. Paine fragte sich, ob er sie je wiedersehen würde. Natürlich
würde er das, ganz bestimmt. Er erkannte, daß es besser für sie wäre, wenn er
sie nicht wiedersähe. Es war nicht fair, sie in sein Verhängnis zu verstricken.
Aber er hatte einen Eid geschworen und den wollte er auch halten.
    Zwei, drei Minuten verstrichen. Das
Katz-und-Maus-Spiel ging weiter. Er hockte reglos am Fenster, der andere stand
reglos auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie mußte jetzt schon drunten
an der Kreuzung sein. Von da aus würde sie mit dem Bus in die Stadt fahren. Sie
mußte vielleicht ein paar Minuten warten, bis einer kam, möglicherweise war sie
immer noch in Sichtweite. Aber wenn der Mann ihr nachgehen, sie ansprechen
wollte, dann hätte er es jetzt tun müssen. Dann würde er nicht mehr dort drüben
stehen.
    Dann sah Paine, wie er sich bewegte. Er
sah in ihre Richtung, warf etwas weg, wahrscheinlich einen Zigarettenstummel,
und ging dann entschlossen in diese Richtung los. Kein Zweifel, er schaute
jemandem nach oder suchte jemanden, so wie er den Kopf hielt. Er
verschwand aus Paines Blickfeld.
    Der atmete heftig, erregt. »Ich bring
ihn um. Wenn er sie anfaßt, wenn er versucht, sie aufzuhalten, dann bring ich
ihn um, auf offener Straße, am hellichten Tag .« Es
waren immer noch Angst und Feigheit, die ihn beherrschten, obwohl sie jetzt
kaum mehr als solche zu erkennen waren.
    Er tastete nach dem Revolver, ließ die
Hand daran, in der Innentasche seines Mantels, erhob sich und rannte aus der
Wohnung und die Treppe hinunter. Er rannte quer über den kleinen gepflasterten
Vorhof, hinaus vor die schützende Häuserfront und weiter in die Richtung, in
die die beiden verschwunden waren.
    Als er die Szenerie vor sich
registrierte, hielt er taumelnd inne, um sich das Ganze genauer anzusehen. Das
Bild vor seinen Augen setzte sich aus drei Bestandteilen zusammen, von denen
ihm zunächst nur zwei auffielen. Einer war der Bus an der Ecke. Er sah das
vordere Drittel davon, die Eingangstür stand offen. Er konnte gerade noch
Paulines Rücken sehen, wie sie einstieg, allein und unbelästigt.
    Die Tür schloß sich automatisch, der
Bus fuhr über die Kreuzung und verschwand. Auf der anderen Straßenseite, nicht
weit von Paine, war der Mann, der so lange vor ihrem Haus Wache gehalten hatte,
ein zweites Mal stehengeblieben und redete wild gestikulierend mit einer Frau,
die mit Tüten und Taschen schwer beladen war. Ihre Stimmen waren so laut, daß
Paine ohne Mühe jedes Wort verstehen konnte.
    »‘ne volle halbe Stunde hab ich da
gestanden, und keiner hat mir die Tür aufgemacht !«
    »Was kann ich dafür, wenn du den
Schlüssel vergißt? Denk nächstes Mal gefälligst dran !«
    Noch näher, auf der gleichen
Straßenseite wie Paine, stand eine Gestalt, die sich jetzt langsam von der
Hauswand löste und ihm dadurch auffiel. Der Mann hatte die ganze Zeit nur ein
paar Meter entfernt gestanden, aber Paine hatte sein Augenmerk auf weiter
entfernte Dinge gerichtet und ihn bislang nicht bemerkt.
    Plötzlich sah Paine sein Gesicht
bedrohlich nahekommen. Seine Augen bohrten sich in die von Paine, in
unmißverständlicher Absicht. Er sah nicht aus wie einer von denen, die einen
holen kommen. Er handelte so. Er griff in seine Westentasche, suchte wohl nach
einem Ausweis oder so etwas. Mit sanfter, nuschelnder Stimme, in der jedoch ein
unüberhörbarer Befehlston mitschwang, sagte er: »Moment mal, Kumpel. Sie sind
doch Paine, oder? Ich möchte Sie sprechen...«
    Paine brauchte seiner
Muskelkoordination keinerlei Signal zu geben; sie handelte automatisch. Er
spürte, wie ihn seine Beine mit langen, geschmeidigen Sätzen zurück in den
Schutz des Vorhofs trugen. Er raste bereits die Eingangstreppe hoch, ehe der
andere auch nur um die Ecke gebogen war. Er stand schon hinter seiner eigenen
Wohnungstür, ehe dessen Schritte unbarmherzig langsam, aber deutlich vernehmbar
nach oben stapften.
    Der Mann schien ihm allein zu folgen.
Wußte er denn nicht, daß Paine eine Waffe hatte? Nun, er würde es schon merken.
Jetzt war er oben auf ihrem Treppenabsatz. Er schien zu wissen, in welche Etage
er gehen , hinter welcher Wohnungstür er ihn suchen
mußte. Wahrscheinlich hatte der Hausmeister es ihm gesagt. Aber warum war er
dann nicht eher gekommen?

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