Das Fest Der Fliegen
den Langdolch dabei, den er dort entwendet hat.« »Domingo Idiocáiz?«, fragte Michaela Bossi. »Ja. Jetzt weiß ich auch seinen echten Namen. Er heißt Vincent Menendez. Unser griechischer Kollege Seitanides – du kennst ihn, Georges, nicht?« »Ja, wir haben ein paar Mal telefoniert.« »Also Seitanides meint, dass Menendez nicht von der Insel Thassos herunterkann. Ich glaube das nicht. Sie werden zwar die Fußgänger kontrollieren, aber sie können nicht jeden Laster auf den Fähren ausladen. Vielleicht ist er schon auf dem Festland.«
»Wenn er klug ist, bleibt er möglichst nah an euch dran, da vermutet ihr ihn nicht. Wie schreibt sich dieser Menendez?«, fragte Lecouteux. Swoboda buchstabierte. Dann erzählte er von dem Toten im Beinhaus von Kastro. »Was heißt Belgier!« Lecouteux schien amüsiert zu sein. »Der Name ist nicht wallonisch, Lieven Van Alcke ist flämisch!« »Und was heißt das?« »Wenn wir es nicht besser wüssten, müssten wir einen Wallonen als Täter suchen.« »Sie haben die Tätowierung selbst gesehen?«, fragte Frau Bossi. »Nein, aber ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich habe übrigens seine Fingerabdrücke dabei, wenn Seitanides uns weglässt, kann ich morgen oder übermorgen zurückfliegen.« Michaela Bossi drängte. »Das muss schneller gehen. Es gibt bestimmt in Kavalla eine Möglichkeit, die Abdrücke zu scannen und uns zu senden. Bitte, Swoboda! Ich habe das Gefühl, dass es jetzt um Stunden geht.« »Glaubst du das auch, Georges?« »Leider ja, wenn sie sich gegenseitig umbringen, misstrauen sie sich, und wenn das Misstrauen steigt, geraten sie in Panik. Du weißt, Alexander, was das heißt.« »Morgen will die Presseagentur übrigens das Schreiben der Engelslegion publizieren«, sagte Frau Bossi, »obwohl das Innenministerium darum gebeten hat, nichts zu veröffentlichen. Ich fürchte, wir haben dann die ganze Meute von Sensationsschreibern hier im BKA, vielleicht komme ich besser zu Ihnen nach Kavalla!«
»Ich komme auch«, lachte Lecouteux. »Aber jetzt muss ich zurück in die Oper. Ihr habt mich nämlich in der Pause erwischt.« »Warum verhängen die keine Nachrichtensperre?« Swoboda war wütend. »Diese Irren suchen doch nur nach öffentlicher Aufmerksamkeit! Wenn wir sie ihnen vorenthalten, machen Sie vielleicht den nächsten Fehler!« Michaela Bossi stimmte zu. »Genau so habe ich auch argumentiert. Aber man hat wohl Angst vor der Journaille.« »Ich seid wirklich ein sehr freies Land«, sagte Lecouteux, und noch in der gepressten Tonqualität konnte man die Süffisanz in seiner Stimme hören, »à bientot.« Sie beendeten die Telefonkonferenz. Swoboda versuchte noch einmal, Martina zu erreichen. Ohne Erfolg. Vermutlich hatte sie ihr Telefon wieder tief in irgendeiner ihrer Handtaschen vergraben und hörte es nicht.
Sie wusste, dass sie fuhr, sie hörte das Surren des Motors, sie wollte diese Fahrt nicht, aber sie konnte sich nicht bewegen, es war, als ob sie kurz vor dem Aufwachen im Schlaf festgehalten würde und zwar hören und empfinden konnte, was um sie herum und mit ihr geschah, aber unfähig war, die Augen zu öffnen und zu handeln. Rechts und links von ihr spürte sie warme Körper. Licht flog über ihre geschlossenen Augen. Burton bog von der Uferstraße, wo am Sonntagabend der Gegenverkehr von Tagesausflüglern aus der Zungener Altstadt nach Süden in die Neustadt verlief, auf die kleine, für Autos eigentlich gesperrte Brücke über die Mühr ab und erreichte die Allee, die am jenseitigen Ufer des Flusses wieder zurück und zur alten Mühle führt. Im Dunkel wuchsen die Baumkronen zusammen. Der Wagen fuhr durch einen grünen Tunnel, dessen Boden nur noch teilweise asphaltiert, an vielen Stellen von Wurzeln aufgebrochen war. Das Blätterdach warf das Licht der Schweinwerfer als grünen Schimmer zurück in den Wagen. Im Fond saß Martina zwischen Salviati und de Cupis, ihr Kopf lag auf der Kante der Lehne und folgte willenlos schlingernd den Bewegungen des Fahrzeugs. Burton bemühte sich, ruhig zu fahren, doch Löcher und Risse in der Straße zwangen ihn zum Ausweichen. Endlich erfassten die Scheinwerfer den Hof und das Gebäude. Burton hielt, ließ den Motor laufen, stieg aus und sah sich um. Die alte Mühle, in der einst der Eigenbrötler Peter Gottfreund mit seinen Büchern, seinem Hund De Gaulle und seinen Ziegen und Hasen gelebt hatte, stand düster und nass im Lichtkegel. Ihre aus Sandsteinquadern gefügten Mauern waren fast schwarz von
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