Das Festmahl des John Saturnall
dich seiner Willkür ausgesetzt zu sehen.« Sie bedachte ihn mit einem zornigen Blick und atmete schnell. »Wenn ich geahnt hätte, wie er mich demütigen würde, dann wäre ich vielleicht mit dir gegangen. Aber das habe ich nicht geahnt. Zuerst band mich mein Versprechen. Und danach mein Kind. Dein und mein Kind. Ja, ich habe dich vertrieben. Ich habe mir einen Vorwand zunutze gemacht, das gebe ich zu. Ich habe mich zur Hure gemacht, um dich loszuwerden. Auch
das gebe ich zu. Und nun kommst du nach zwölf Jahren zurück und verlangst von mir, die Schuld zu begleichen. Ich habe mich in der Küche abgemüht, John Saturnall, und ich habe dein Festmahl bereitet.« Zornig deutete sie auf den halbgeleerten Teller vor ihm. »Esst das nun und geht!«
John sah zu ihr auf. So oft hatte er sich zurechtgelegt, was er sagen wollte. Und den Ausgang seiner Worte hatte er sich so oft so verschieden ausgemalt. Aber keines dieser Ergebnisse entsprach dem, was sich nun abspielte. Unter ihrem zornigen Blick nahm er wieder seinen Löffel und tunkte ihn in das nächste Gericht.
»Und?«, fragte sie streng.
Rüben, dachte er. Mit Verjus und Butter angerichtet. Er schluckte, und Lucretia nickte streng.
»Ist das nach Eurem Sinn, Master Saturnall?«
»Das ist es, Euer Ladyschaft.«
»Dann esst den Rest und geht.«
John löffelte noch mehr von dem Brei. Draußen schneite es immer stärker. Eine dünne Schneeschicht bedeckte bereits den Boden. Er aß langsam, als wollte er den Geschmack des faden Breis auskosten.
»Ihr müsst Euch beeilen«, sagte Lucretia, und John hatte den Eindruck, als klänge ihre Stimme freundlicher. Er sah von seinem Teller auf.
»Ohne diese Speisen so zu genießen, wie es ihnen zusteht?«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Sind sie es wert, dass man sie genießt?«
»In der Tat, Mylady. Ganz zweifellos.«
Zeigte sich etwas wie Freude auf ihrer Miene? Er aß weiter und schluckte.
»Ihr seid säumig, Master Saturnall. Man könnte fast meinen, Ihr hättet keine Eile, Euren Teller zu leeren.«
»Säumig? Schneller kann ich nicht essen, Euer Ladyschaft.« Er hielt im Kauen inne, als wäre ihm ein Gedanke gekommen. »Wenn vielleicht jemand diese freudige Aufgabe mit mir teilen könnte?«
»Teilen?«
Er stand auf und holte den zweiten Stuhl herbei.
»Wenn es Euch recht wäre, Lady Lucretia, bei mir zu sitzen?«
Ihm war zumute wie damals, als sie zusammen Kastanien gesammelt hatten, als wagte er sich auf einen zugefrorenen Teich hinaus, wo jeder Schritt das Eis unter ihm zerbrechen konnte. Draußen wirbelten die Schneeflocken und fielen immer dichter auf die zerschmetterten Glasscheiben des Gewächshauses. Lucretia sah ihn mit ihren dunklen Augen forschend an, wie damals, als er sich in ihrem Gemach über sie gebeugt hatte und der süße Duft des Bratapfels und der Sahne sich mit dem Duft ihrer Haut gemischt hatte. So hatte sie ihn gesehen, dachte er. In ihrem Gemach.
Er wartete. Sie setzte sich langsam.
»Sind diese Gerichte wahrhaftig nach Eurem Geschmack?«, fragte Lucretia.
»Nie hat ein Gericht mir köstlicher gemundet«, sagte er.
»Solche Schmeichelei zu glauben, fällt mir schwer, John Saturnall.«
»Es ist nicht Schmeichelei, sondern die Wahrheit.«
John tauchte den Löffel ein und beugte sich über den Tisch.
»Kostet.«
Aus Das Buch des John Saturnall: Ein letztes Festmahl für jene ersten Männer und Frauen .
ie Gärten des Saturnus wurden verwüstet und seine Tische zerschlagen. Sein Fest war verloren, wie von mir berichtet. Doch wie die Alchemisten uns versichern, verschwindet nichts gänzlich. Jedes Jahr bleiben die süßen Wasser der Tiefebene unter den Fluten bitteren Salzwassers bestehen. Jedes Frühjahr erstehen die grünen Tafeln wieder, die unter dem Winterschnee des Tals begraben waren. Alles Stoffliche bleibt bestehen, selbst wenn Rauch oder Ruß ihm zusetzen, wie selbst der ungelenkste Koch wird bestätigen können. Denn die äußere Form mag vergehen, doch die Essenz bleibt bestehen.
Dies sind gewichtige Gegenstände für die Gedanken eines Kochs, der besser daran tut, über einer Bratpfanne zu schwitzen als über einem Blatt Papier. Doch das Festmahl des Saturnus besteht weiter auf die Weise, die ich nun schildern werde.
Ein Apfel war alles, was Eva ihrem Adam servierte. Und dennoch war es ein Festmahl. Ich habe Königen prunkvolle Bankette ausgerichtet und ein an einem Haselstecken gebratenes Wildkaninchen einen Treiber satt machen sehen. Ich habe die erlesensten
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