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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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unserer Welt bleiben und ihre Forschungen fortsetzen wollten. Da gab es verborgene Fäden: Manche wünschten heimlich oder offen, daß die Menschen uns verlassen, wieder davonfliegen sollten. Andere, möglicherweise darunter auch der Große Älteste selbst, wünschten dagegen, daß sie bleiben und die Fülle ihres Wissens den Moruianern weitergeben sollten.
    Vier Orte waren als mögliche Landungsplätze vorgeschlagen worden: der eingefriedete Bezirk des Windfels-Tempels im Binnenland; die Delta-Insel Curweth-beg in der Nähe von Rintoul; das Lebbin-Feld bei Tsagul am Datse und das Messegelände in Otolor. Zwei dieser Orte wurden als Landungsplatz für ungeeignet gehalten: der Windfels-Bezirk war zu trocken, das Messegelände zu bevölkert. Die Insel Curweth-beg war ein schöner Ort; sowohl Scott Gale als auch Tsorl hatten sie gesehen; das Lebbin-Feld war genauso gut, vielleicht sogar besser. Aber ein Ort brachte das Luftschiff sehr nahe in den Bereich des Großen Ältesten, während der andere es von ihm in unsere verachtete Stadt Tsagul entfernte. Käme es zu einer Abstimmung der Fünf Clans, so wurde erwartet, daß die Pentroys, die Galtroys und die Luntroys für Curweth-beg stimmen würden, die Dohtroys und die Wentroys dagegen, wenn auch etwas widerwillig, für Lebbin. In meinen nächtlichen Träumen an meinen verschiedenen Schlafstellen – auf dem Schiff, in dem blauen Zelt, im Zelt der Fünf von Brin, in Sams rundem Gästehaus – hatte ich den Alpdruck, daß die Aussprache nie enden würde. Wir würden hier von Dunkel zu Dunkel und im Licht der Fernen Sonne reden, bis aus den Weljins Menschen würden.
    Ich war von mehr guten Freunden umgeben, als ich je in meinem Leben gehabt hatte, aber ich war irgendwie wieder allein. Tsorl hatte seine Gefährten; die Dohtroy-Hoheit hatte mich so freundlich angeschaut, wie sie vermochte, aber sie betrachtete mich als das, was ich war: eine Grubenarbeiterin aus Tsagul. Vel Ragan war ein guter Schreiber und verstand meine Geschichte, aber es gab in ihm einen Faden der Eifersucht auf jeden, der dem Abgesandten zu nahe kam. Die Menschen bildeten eine Einheit und bemühten sich geschlossen die Welt von Torin zu begreifen. Sie konnten sich nicht an Scott Gales Bündnis mit der Fünf von Brin gewöhnen und gerieten außer Fassung, als er in deren Nomadenzelt schlief.
    Am besten unterhielt ich mich und lachte ich mit Dorn Brinroyan und seinen beiden jüngeren Verwandten. Narneen Brinroyan, neun oder zehn Jahre nach ihrem Erscheinen alt, war eine Zeugin, aber trotzdem ein nettes und verständiges Kind, obwohl eine gewisse Rivalität zwischen ihr und Dorn herrschte. Tomar, das seit seinem Erscheinen halbjährige Baby, befand sich in seiner regsten Phase … er plapperte drauflos, kletterte und buddelte herum. Ich hatte nie viel Zeit für kleine Kinder gehabt – Dorn besaß fünfmal so viele mütterliche Gefühle wie ich. Vielleicht hatte ich mich willentlich von diesen Dingen abgewendet, weil ich beabsichtigte, eine Omor zu werden – was, soweit ich damals wußte, immer noch möglich war. Aber es hätte keine liebevollere Mutter geben können als meine eigene Morritt, die ehemalige „Hügelversetzerin“. Ich begann den kleinen Wicht Tomar zu mögen, ja sogar zu lieben – mir gefiel es, sein Gewicht zu fühlen, wenn ich ihn aus irgendeinem Unfug herausholte und ihn zappelnd auf meiner Hüfte wegtrug. Es gibt eine Menge Rückblicke in solchen Dingen, aber an eins erinnere ich mich besonders.
    Eines Tages war Tomar verschwunden, und Narneen und ich suchten ihn. Er war zu dem Luftschiff Silberreiher gegangen – zu einem verbotenen Ort – und zu dem Proviantlager im Laderaum vorgedrungen. Wir schlichen uns an ihn heran. Er stand in einem Sonnenstrahl, der durch die offenen Türen des Laderaums hereinfiel, ein moruianisches Baby, ein Bergkind, hager und braunäugig in einem Hosenanzug.
    Er stand vor einem Regal mit Lebensmittelkartons und rief ein Zauberwort: „Lock! Lock!“
    Das war sein Wort für Schokolade. Er hielt sich dem Regal fern, und wir beobachteten, wie die Kartons langsam in einer Flut um ihn herum herabfielen. Das war zuviel: Er setzte sich hin und begann zu weinen. Narneen ging zu ihm und hob ihn auf, wobei sie ihn freundlich ausschimpfte. Aber wir beide, Narneen und ich, wußten, was wir gesehen hatten.
    Als wir wieder draußen im Sonnenschein waren, zeichnete Narneen einen einzigen Buchstaben in den Staub der roten Straße und sagte, ohne mich dabei anzublicken:

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