Das Feuer der Wüste
angeklagt, Wolf Salden im Jahre 1904 auf seiner Farm erschossen zu haben. Nun müssen wir abwarten, was die Gegenüberstellung deiner Großmutter mit dem alten Kramer ergibt.«
»Kein Wunder, dass der alte Kramer Henry so unter Druck gesetzt hat. Es muss ein Schock für ihn gewesen sein, als ich plötzlich auftauchte und gleich darauf meine Großmutter. Merkwürdig ist nur, woher er von mir wusste. Er hat mich doch nie gesehen.«
»Ich nehme an, die Eintragung im Archiv hat ihn auf deine Spur gebracht. Und dann hat er seinen Sohn auf dich angesetzt.«
»Irgendwie tut Henry mir leid«, sagte Ruth leise. »Er hat sich so angestrengt, um seinen Vater einmal im Leben zufriedenzustellen. Aber er hat es auch dieses Mal nicht geschafft.«
»Mir tut er nicht leid«, entgegnete Horatio. »Er ist volljährig. Er hatte die Wahl. Der Mensch hat immer die Wahl zwischen Gut und Böse.«
»Hast du den Brief?«, fragte Ruth.
Horatio schüttelte den Kopf. »Du hast ihn eingesteckt, nachdem der Bankdirektor ihn aus einem Schließfach geholt hat, zusammen mit den Bankauszügen und der Besitzurkunde für die zwanzig Prozent, die deine Familie an der Diamantmine hält.«
Ruth wurde blass. Sie kramte in ihrem Rucksack herum, immer hektischer, aber schließlich atmete sie auf. »Seit ich weiß, dass ein Brief manchmal über Leben und Tod entscheiden kann, habe ich ständig Angst, einen zu verlieren.«
Horatio lachte, legte einen Arm um Ruths Schulter und zog sie an sich. »Lass uns bald fahren, ja? Wir holen deine Großmutter ab, und dann brechen wir auf nach Salden’s Hill.«
Ruth lächelte: »Du kannst es wohl gar nicht erwarten, auf unsere Farm zu kommen und dort die Geschichte meiner Großmutter und des Namastammes in der Namib aufzuschreiben, oder? Zum Glück sind unsere Gästezimmer so geräumig, dass es sich eine ganze Weile dort aushalten lässt.«
Horatio nahm ihren Arm. »Sag, ist es dir auch recht, dass ich mich bei euch einquartiere?«
Ruth zögerte einen winzigen Augenblick, dann erwiderte sie: »Ich freue mich darauf. Sehr sogar.«
Als sie einander ansahen, las Ruth aus Horatios Augen einen Wunsch und eine tiefe Sehnsucht heraus. Horatio hingegen sah in Ruths Augen Erwartung und Freude. »Lass uns schnell nach Salden’s Hill fahren«, raunte Horatio. »Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren.«
Ruth lächelte. Sie hatte verstanden, dass er nicht von seiner Arbeit gesprochen hatte. Dennoch schüttelte sie den Kopf. »Nein. Wir müssen vorher noch deine neue Brille beim Optiker abholen. Oder hast du etwa gedacht, ich fahre die ganze Strecke allein?«
»Yeap. Ich habe nämlich noch immer keinen Führerschein.«
Ein paar Tage später hatten sich alle auf Salden’s Hill versammelt. Nur auf Corinne warteten sie noch. Der Empfang daheim war sehr emotional gewesen. Margaret hatte Rose umarmt, Mama Elo hatte weinend dabeigestanden. Dann waren Mutter und Tochter zu einem langen Spaziergang über die Farm aufgebrochen. Niemand wusste, worüber genau die beiden miteinander gesprochen hatten, aber alle hatten gesehen, dass Rose Salden seither ein Lächeln im Gesicht trug.
Das Lächeln wurde zwar schmaler, sobald Rose Horatio erblickte, verschwand aber auch dann nicht ganz. »Ein schwarzer Mann in meinem Haus«, murmelte sie und schüttelte dabei den Kopf. »Erst die Sache mit dem Diamanten und jetzt das. Mit Corinne wäre mir so etwas niemals passiert.« Kurz darauf ging sie hocherhobenen Hauptes ins Haus, wies mit dem Finger auf den alten Teakholztisch und verkündete: »Der muss natürlich weg. Und an die Wände sollen Tapeten geklebt werden, am besten aus Seide. Ich werde Corinne danach fragen.«
Immer, wenn Rose solche Reden führte, verdrehte Ruth die Augen. Aber Margaret legte ihr eine Hand auf den Arm. »Lass sie«, sagte sie. »Sie hat so viel nachzuholen.«
Am Abend fragte Horatio: »Was hast du jetzt vor, Ruth, jetzt, da du dir um die Farm keine Sorgen mehr machen musst. Wirst du weiter Vieh züchten?«
»Ja, natürlich. Ich wollte nie etwas anderes. Daran ändert auch das Geld nichts. Meine Mutter und meine Großmutter sind reich. Ich bin genauso wie vorher. Salden’s Hill möchte ich natürlich behalten. Die Schulden sind ja jetzt kein Problem mehr. Vielleicht erweitere ich die Schafherden, aber nicht, um die Lämmer zum Schlachten zu verkaufen, nur damit reiche weiße Europäerinnen sich daraus Persianermäntel machen lassen können. Ich möchte die Milch der Tiere haben, möchte meine Lämmer
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