Das Feuer und die Rose
verbannte sie für den Moment in einen anderen Teil seines Gehirns. Stück für Stück verschwanden die Ablenkungen und ließen nur die Stille der verdorrten vulkanischen Wildnis zurück.
Und dann unterbrach plötzlich eine Bewegung die vollkommene Ruhe der Szene. In der Ferne der durch Vorstellungskraft erschaffenen Landschaft entdeckte Spock an den Ausläufern des L-langon-Gebirges, die an den Glühofen grenzten, eine geschmeidige Gestalt. Das große, vierbeinige Raubtier, das zwischen den Felsen entlangschlich, konnte die verräterischen geometrischen Markierungen auf seinem Rücken und seinem Schwanz nicht vollständig verbergen. Die hellen gelben Formen standen im auffälligen Kontrast zu seinem ansonsten grünen Fell. Der Kopf des
Le-matyas
zuckte hin und her, als er eine Beute verfolgte, die er wohl gewittert haben musste.
Vielleicht verfolgt er einen
Sehlat, dachte Spock beiläufig, wodurch sein meditativer Zustand kurz ins Wanken geriet. Er ließ die Augen geschlossen und legte die Hände an seine Stirn, um sich darauf zu konzentrieren, diese störenden Einzelheiten verschwinden zu lassen. Er wandte seinen inneren Blick von den Bergen ab und ließ ihn über die zerklüftete Ebene schweifen. Er würde weder an den
Le-matya
noch an den
Sehlat
denken.
Spocks Blick glitt über die Risse im Wüstenboden. Die breitesten dieser tiefen dunklen Erdspalten zogen seine Aufmerksamkeit auf sich und in sich hinein, als ob sein geistiges Auge plötzlich der Schwerkraft unterliegen würde. Er ließ sein Bewusstsein treiben, als sein Blick ihn an den steilen Wänden der Risse vorbeizog. Unter ihm befand sich ein lebloser Abgrund, der reglos und still wie ein bodenloses Grab das nächste Opfer des erbarmungslosen Glühofens erwartete.
Doch dann zog ein Geräusch Spocks Aufmerksamkeit auf sich. Es war das Angstgebrüll eines Tieres. Seine innere Perspektive wanderte zurück nach oben und wieder zu den Gebirgsausläufern, wo ein großes vierbeiniges Tier von dem herannahenden
Le-matya
zurückgedrängt wurde. Spock erkannte die gejagte Kreatur mit dem braunen Fell und den fünfzehn Zentimeter langen Fangzähnen: Wie erwartet handelte es sich um einen
Sehlat
.
Aber es ist nicht einfach irgendein
Sehlat, wurde Spock klar.
I-Chaya
. Das Haustier, das er vor langer Zeit besessen hatte.
Der furchteinflößende
Le-matya
mit den giftigen Klauen und den rasiermesserscharfen Zähnen kauerte sich zusammen und machte sich sprungbereit. Dann schoss er vorwärts.
Nein!
, schrie Spock in seinem Kopf und zerstörte damit auch den letzten Rest Gemütsruhe, den er sich bewahrt hatte. Er hörte zwei Stimmen, die ein Echo seiner Reaktion bildeten. Als der
Le-matya
I-Chaya angriff, beobachteten ein Kind und ein Erwachsener das schreckliche Schauspiel – und beide waren Spock. Der ältere Vulkanier setzte sich in Bewegung und stürmte auf den tödlichen
Le-matya
zu.
Zu spät
, wusste Spock.
Zu spät
.
Er öffnete seine Augen in seiner Wohnung in San Francisco und nahm die Hände von der Stirn. Sein Herzschlag ging merklich schneller, und er atmete keuchend, so als hätte er eine anstrengende körperliche Tätigkeit hinter sich – oder als wäre er einem überwältigenden Gefühl ausgesetzt gewesen. Sein Versuch, seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen, war gänzlich gescheitert.
Captain Kirks Tod hatte das Gleichgewicht, das Spock viele Jahre lang zwischen seiner vulkanischen und seiner menschlichen Hälfte aufrechterhalten hatte, gehörig durcheinandergebracht. Das Ereignis war von Trauer und einer fast schon überwältigenden Schuld begleitet worden. Seine Reaktion hatte ihn dazu gezwungen, seine beruflichen Verpflichtungen auf Alonis aufzugeben, er litt jede Nacht an Träumen, die voller ungewohnter und unangenehmer Gefühle waren, und nun brachte sein aktuellster Versuch, Frieden in seinem Inneren zu finden, die Erinnerungen an I-Chaya zurück.
Aber auch noch mehr als nur die Erinnerungen an I-Chaya
, erkannte Spock. Das Ereignis, das den Tod des
Sehlats
zur Folge hatte, hing unmittelbar mit Spocks Gewissensbissen zusammen. Es ging nicht um den Verlust seines Haustiers, sondern darum, was er Jim angetan hatte.
Spock erhob sich schnell von dem kleinen Hocker in der Nische, die er für seine Meditationen angefertigt hatte. Er drehte sich zur Wand, wo ein sogenannter »Unendlichkeitspiegel« hing. Es war ein schwarzer achteckiger Rahmen, in dem sich zwischen einer Glasscheibe und dem eigentlichen Spiegel eine Reihe kleiner Lichter
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