Das Feuer von Innen
Die alten Seher, sagte er, hätten diesen Augenblick als die Nebelwand bezeichnet, weil immer dann, wenn eine Ausrichtung von Emanationen ins Stocken gerate, eine Nebelwand sichtbar werde.
Es gebe drei Möglichkeiten, sagte er, mit dieser Erscheinung umzugehen. Man könne sie abstrakt als Wahrnehmungsbarriere auffassen; man könne sie als ein Hindurchschreiten des ganzen Körpers durch eine straff gespannte Papierwand empfinden, oder man könne sie sehen - eben als eine Nebelwand. Don Juan hatte mich, im Laufe meiner Lehrzeit bei ihm, unzählige Male angeleitet, diese Wahrnehmungsbarriere zu sehen. Zunächst hatte ich die Vorstellung einer Nebelwand attraktiv gefunden. Don Juan erklärte mir, daß auch die alten Seher es vorgezogen hätten, das Phänomen in der Weise zu sehen. Es sei sehr traulich und bequem, sagte er, sie als Nebelwand zu sehen, aber es liege auch eine große Gefahr darin, etwas an sich Unbegreifliches als etwas so Düsteres, Unheildrohendes wie eine Nebelwand aufzufassen. Daher empfahl er mir, unbegreifliche Dinge lieber unbegreiflich sein zu lassen, statt sie es in das Inventar der ersten Aufmerksamkeit aufzunehmen. Nachdem ich kurzlebigen Trost darin gefunden hatte, die Nebelwand zu sehen, mußte ich Don Juan recht geben, daß es besser sei, diese Übergangsphase als unbegreifliche Abstraktion aufzufassen. Inzwischen aber war es mir nicht mehr möglich, die Fixierung meines Bewußtseins aufzulösen. Jedesmal, wenn ich in die Lage geriet, die Wahrnehmungsbarriere zu durchbrechen, sah ich die Nebelwand.
Früher einmal hatte ich mich bei Don Juan und Genaro beschwert, daß ich, obwohl ich etwas anderes sehen wolle, meine Gewohnheit nicht ändern könne. Dies verstünde er sehr gut, hatte Don Juan dazu gemeint, denn ich sei depressiv veranlagt und schwermütig, und in dieser Hinsicht doch sehr verschieden von ihm. Er selbst sei unbekümmert und praktisch veranlagt und habe keine Neigung, das menschliche Inventar anzubeten. Ich dagegen sei nicht bereit, mein Inventar aus dem Fenster zu werfen, und folglich sei ich schwerfällig, bedrückt und unpraktisch. Seine harte Kritik hatte mich ziemlich schockiert und traurig gemacht, und ich geriet in eine düstere Stimmung. Don Juan und Genaro lachten, bis ihnen die Tränen über die Wangen rollten.
Genaro hatte noch eins drauf gesetzt und gemeint, ich sei nachtragend und hätte zudem die Neigung, Fett anzusetzen. Die beiden lachten so unbändig, daß ich schließlich mitlachen mußte. Damals sagte mir Don Juan, daß man durch Übungen im Montieren anderer Welten seinem Montagepunkt die Möglichkeit geben könne, Erfahrung im Sich-Verschieben zu sammeln. Ich hatte mich aber stets gefragt, woher ich den ersten Anstoß bekommen sollte, um meinen Montagepunkt aus seiner gewohnten Position zu lösen. Bisher, wenn ich ihn deshalb befragte, hatte er mir stets zur Antwort gegeben, daß - nachdem Ausrichtung die allesbewirkende Kraft sei - nur Absicht den Montagepunkt bewegen könne.
Nun fragte ich ihn abermals.
»Du bist jetzt in der Lage, diese Frage selbst zu beantworten«, erwiderte er. »Die Meisterschaft des Bewußtseins ist es, die dem Montagepunkt einen Schub versetzt. Immerhin hat's mit uns Menschen nicht viel auf sich: wir sind im wesentlichen ein Montagepunkt, der an eine bestimmte Position fixiert ist. Unser Feind, und zugleich unser Freund, ist der innere Dialog, unser inneres Inventar. Sei ein Krieger. Schalte deinen inneren Dialog ab. Mache dein Inventar und wirf es aus dem Fenster. Die neuen Seher legen sorgfältige Inventare an und lachen am Ende darüber. Ohne das Inventar wird der Montagepunkt frei.« Don Juan erinnerte mich daran, daß er viel über den stabilsten Aspekt unseres menschlichen Inventars gesprochen habe: unsere Vorstellung Gottes. Dieser Aspekt, sagte er, wirke wie ein starker Leim, der den Montagepunkt an seine ursprüngliche Position binde. Falls ich aber eine andere wahrhafte Welt, aus einem anderen großen Emanationen-Band montieren wolle, müsse ich einen unvermeidlichen Schritt tun und meinen Montagepunkt von all diesen Dingen freimachen.
Dieser Schritt bedeutet, die Form des Menschen zu sehen«, sagte er. »Das wirst du heute tun müssen, und zwar ohne Hilfe.« »Was ist die Form des Menschen?« fragte ich. »Ich habe dir viele Male geholfen, sie zu sehen«, erwiderte er. »Du weißt, wovon ich spreche.«
Ich verzichtete auf meinen Einwand, ich wisse gar nicht, wovon er spräche. Wenn er sagte, ich hätte die Form des
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