Das Feuer von Innen
katholischen Erziehung - lästerlichsten Äußerungen tat, die ich jemals gehört hatte.
Angefangen hatte das alles als beiläufige Unterhaltung, während wir durch die Randdünen der Wüste von Sonora wanderten. Er erläuterte mir die Konsequenzen dessen, was er mit seinen Lehren bei mir zu erreichen suche. Wir hatten Rast gemacht und uns auf ein paar große Steinbrocken niedergelassen. Er fuhr fort, mir die Technik seiner Lehren zu erläutern, und dies ermutigte mich zu meinem wohl hundertsten Versuch, ihm zu berichten, wie mir dabei zumute sei. Es war offensichtlich, daß er nichts mehr davon hören wollte. Er ließ mich auf eine andere Bewußtseinsebene überwechseln und sagte mir, wenn ich die Form des Menschen sehen würde, könnte ich alles verstehen, was er machte. Und damit könnte ich uns beiden Jahre der Plackerei ersparen. Dann erklärte er mir ausführlich, was die Form des Menschen sei. Er sprach darüber nicht im Sinne der Emanationen des Adlers, sondern im Sinne einer energetischen Struktur, die in der Lage sei, einem amorphen Klumpen biologischer Materie die Eigenschaften des Menschlichen aufzuprägen. Zumindest verstand ich es so, zumal er mir die Form des Menschen in mechanischen Gleichnissen schilderte. Sie sei ein gigantischer Prägestock, sagte er, der in endloser Folge menschliche Wesen ausstanze, als kämen sie von einem Fabrikfließband. Er veranschaulichte mir den Vorgang, indem er die Handflächen kräftig zusammenschlug, als stieße der Prägestock jedesmal, wenn die zwei Hälften zusammenklappten, ein menschliches Wesen aus. Er sagte auch, daß jede Gattung ihre eigene Form habe und daß jedes auf diese Weise geformte Individuum einer jeden Gattung die seiner Art entsprechenden Merkmale aufweise. Und dann gab er mir eine sehr beunruhigende Schilderung dieser Form des Menschen. Die alten Seher, sagte er, hätten mit den abendländischen Mystikern eines gemein, nämlich daß sie die Form des Menschen sahen, ohne jedoch zu verstehen, was sie sei. Die Mystiker aller Jahrhunderte hätten uns ergreifende Berichte von ihren Erfahrungen hinterlassen. Diese Berichte, so schön sie wären, litten alle an dem einen großen, hoffnungslosen Mangel, daß darin die Form des Menschen als allmächtiger, allwissender Schöpfer aufgefaßt würde. Das gleiche gelte auch für die Deutung der alten Seher, die die Form des Menschen als freundlichen Geist, als Beschützer der Menschen bezeichneten. Einzig die neuen Seher, sagte er, seien nüchtern genug, die Form des Menschen als das zu sehen und zu verstehen, was sie sei. Und sie hätten erkannt, daß die Form des Menschen kein Schöpfer sei, sondern das Präge-Muster aller nur denk- oder vorstellbaren menschlichen Eigenschaften. Die Form, sagte er, sei unser Gott, weil wir nun eben das seien, was uns präge, und nicht etwa, weil sie uns aus dem Nichts und nach ihrem Ebenbild geschaffen hätte. Wollten wir vor der Form des Menschen auf die Knie fallen, so sei dies in Don Juans Augen ein Zeichen von Arroganz und menschlicher Selbstbezogenheit.
Beim Anhören von Don Juans Erklärung wurde mir furchtbar unbehaglich. Auch wenn ich mich nie für einen praktizierenden Katholiken gehalten hatte, schockierten mich die blasphemischen Konsequenzen einer solchen Betrachtungsweise. Ich hatte ihm höflich zugehört, aber ich sehnte eine Pause in diesem Trommelfeuer lästerlicher Äußerungen herbei, um das Thema wechseln zu können. Er aber hämmerte weiter erbarmungslos auf seinem Standpunkt herum. Schließlich unterbrach ich ihn und sagte ihm, daß ich an die Existenz Gottes glaube.
Mein Glaube, erwiderte er, beruhe wohl auf religiösen Vorstellungen und sei mithin eine Überzeugung aus zweiter Hand, die belanglos sei. Mein Glaube an die Existenz Gottes, sagte er, beruhe auf Hörensagen, und nicht auf dem Akt des Sehens. Er beteuerte, daß ich, selbst wenn ich sehen könnte, den gleichen Irrtum begehen würde, wie ihn die Mystiker begingen. Denn jeder, der die Form des Menschen sähe, unterstelle automatisch, sie sei Gott.
Das mystische Erleben bezeichnete er als zufälliges Sehen, als Treffer aufs Geratewohl, und ohne weitere Bedeutung, denn es sei das Ergebnis einer zufälligen Bewegung des Montagepunktes. Die neuen Seher seien die einzigen, behauptete er, die in diesen Dingen ein gerechtes Urteil abgeben könnten, denn sie hätten das zufällige Sehen ausgeschlossen und könnten die Form des Menschen sehen, sooft sie wollten.
Und daher hätten sie gesehen, fuhr er
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