Das Feuer von Innen
Ich vermutete, daß diese Verlegenheit durch einen inneren Zwiespalt hervorgerufen sei, in dem ich mich befand. Einerseits hatte ich ernstliche Zweifel am Hergang dieser Geschichte, und andererseits vertraute ich beinah blind darauf, daß alles, was er mir erzählte, der Wahrheit entspräche. Ich berichtete ihm von meinem Dilemma.
»Du bist nicht der einzige, der an der Not des rationalen Zweifels leidet«, sagte Don Juan. »Auch mein Wohltäter mußte sich anfangs mit dieser Frage auseinandersetzen. Später erinnerte er sich natürlich an alles. Aber er brauchte Zeit dazu. Als ich ihm begegnete, hatte er sich bereits an alles erinnert, darum habe ich seine Zweifel nie miterlebt. Ich hörte lediglich davon erzählen.
Wirklich unheimlich ist, daß es Leute, die diesen Mann nie mit eigenen Augen gesehen haben, leichter akzeptieren können, daß er einer der ursprünglichen Seher ist. Mein Wohltäter sagte, bei ihm selbst habe sich der Zwiespalt aus der Tatsache ergeben, daß der Schock, einem solchen Wesen zu begegnen, bei ihm eine Reihe von Emanationen zusammengebündelt hatte. Es dauert immer eine Weile, bis diese Emanationen sich wieder voneinander lösen.«
Und dann erklärte mir Don Juan, es werde, wenn sich mein Montagepunkt weiter verschiebe, irgendwann der Moment kommen, da er die richtige Kombination von Emanationen finde. In diesem Moment würde mir der Beweis für die Existenz dieses Mannes mit überwältigender Klarheit einleuchten. Ich fühlte mich gedrängt, noch einmal meine Zweifel vorzutragen.
»Wir schweifen von unserem Thema ab«, sagte er.
»Vielleicht hast du den Eindruck, als versuchte ich, dich von der Existenz dieses Mannes zu überzeugen. Aber ich wollte lediglich die Tatsache erwähnen, daß dieser alte Seher sich auf den Umgang mit der rollenden Kraft versteht. Es ist unwichtig, ob du an seine Existenz glaubst, oder nicht. Eines Tages wirst du die Wahrheit wissen, daß es ihm tatsächlich gelungen ist, seine Lücke zu schließen. Die Energie, die er sich vom Nagual einer jeden Generation ausborgte, benützte er einzig zu dem Zweck, seine Lücke zu schließen.«
»Wie gelang es ihm, die Lücke zu schließen?« fragte ich. »Das kann niemand wissen«, antwortete er. »Ich habe mit zwei anderen Naguals gesprochen, die diesen Mann von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten, mit dem Nagual Julian und mit dem Nagual Elias. Keiner von beiden konnte es sagen. Dieser Mann hat niemals verraten, wie er seine Lücke schließt, die sich, so vermute ich, nach einer Weile wieder zu öffnen beginnt. Der Nagual Sebastian erzählte, daß dieser alte Seher, als er ihn zum erstenmal sah, sehr schwach gewesen sei, tatsächlich dem Tode nah. Doch mein Wohltäter sah ihn beschwingten Schritts herumlaufen, wie ein junger Mann.«
Der Nagual Sebastian, erzählte Don Juan, habe diesem namenlosen Mann den Spitznamen »der Untermieter« gegeben, denn sie hatten ein Abkommen getroffen: der Mann bekam Energie, sozusagen als Logiergast, und er bezahlte dafür Miete in Form von Hilfeleistungen und Wissen.
»Hat denn niemand Schaden gelitten durch diesen Austausch?« fragte ich.
»Keiner der Naguals, die mit ihm Energie austauschten, litt dadurch Schaden«, antwortete er. »Der Mann hatte sich verpflichtet, jeweils nur einen kleinen Teil der überschüssigen Energie eines Nagual zu nehmen - im Tausch für seine Gaben, für seine ganz außerordentlichen Fähigkeiten. Der Nagual Julian zum Beispiel bekam die Gangart der Kraft zum Geschenk. Damit konnte er die Emanationen im Innern seines Kokon aktivieren oder sie schlummern lassen, um entweder alt oder jung auszusehen, ganz wie es ihm gefiel.«
Don Juan erklärte, daß die dem Tode Trotzenden manchmal so weit gingen, alle Emanationen im Innern ihres Kokon schlummern zu lassen - bis auf jene, die mit den Emanationen der Verbündeten übereinstimmten. Auf diese Weise könnten sie in gewisser Weise die Verbündeten imitieren. Von jenen dem Tode Trotzenden, denen wir bei dem flachen Stein begegnet seien, erzählte Don Juan, habe ein jeder seinen Montagepunkt an eine genau bestimmte Stelle seines Kokon zu verschieben gewußt, um diejenigen seiner Emanationen, die er mit den Verbündeten teilte, hervorzuheben und dadurch mit den Verbündeten in Verbindung zu treten. Andererseits seien sie außerstande, ihren Montagepunkt wieder in seine ursprüngliche Lage zu bewegen, was sie tun müßten, um mit Menschen in Beziehung zu treten. Der Untermieter hingegen könne seinen
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