Das Feuer von Innen
fort, daß das, was wir Gott nennen, ein Prototypus des Menschlichen sei, und ohne alle Macht. Denn die Form des Menschen könne uns unter keinen Umständen helfen, indem sie etwa zu unseren Gunsten eingreife. Sie könne weder unsere Missetaten bestrafen, noch uns irgendwie belohnen. Wir seien lediglich das Produkt ihrer Prägung; wir seien ihr Abdruck. Die Form des Menschen sei genau das, was der Name aussage: ein Muster, eine Form, ein Abdruck, der ein bestimmtes Bündel faserförmiger Elemente, genannt Mensch, zusammenfasse.
Was er da sagte, bereitete mir einige Qual. Aber er schien meinen inneren Aufruhr nicht zu beachten. Er löcherte mich mit dem - wie er sich ausdrückte - unverzeihlichen Verbrechen der Zufalls-Seher, das uns veranlasse, unsere unersetzliche Energie auf etwas zu konzentrieren, das so gar keine Macht habe, irgend etwas zu bewirken. Je länger er sprach, desto größer meine Verärgerung. Als ich so wütend geworden war, daß ich ihn beinah anbrüllen wollte, ließ er mich in einen tieferen Zustand gesteigerter Bewußtheit überwechseln. Er gab mir einen Schlag auf die rechte Körperseite, zwischen Hüftknochen und Brustkorb. Der Schlag ließ mich davonschweben in ein strahlendes Licht, in einen durchsichtigen Quell der friedlichsten und köstlichsten Seligkeit. Dieses Licht war ein sicherer Hort, eine Oase in all der Schwärze, die mich umgab.
Für mein subjektives Empfinden sah ich dieses Licht eine unendliche Zeitspanne lang. Die Herrlichkeit des Anblicks überstieg alle meine Fähigkeit, es auszudrücken, und doch konnte ich nicht herausfinden, was es denn sei, das ihn so schön machte. Dann kam mir der Gedanke, diese Schönheit sei aus einem Gefühl der Harmonie erwachsen, aus einem Gefühl der Ruhe, des Angekommenseins, der endlich gefundenen Sicherheit. Ich spürte mein Einatmen und Ausatmen, ganz Friede und Befreiung. Welch eine Fülle der Pracht! Ich wußte jenseits von allem Zweifel, daß ich Gott schaute, den Ursprung alles Seienden. Ich wußte, daß Gott mich liebte. Gott war Liebe und Vergebung. Das Licht wusch mich rein, und ich fühlte mich geläutert, gerettet. Ich weinte hemmungslos, hauptsächlich um mich selber. Im Angesicht dieses strahlenden Lichts fühlte ich mich wertlos, sündig.
Plötzlich hörte ich Don Juans Stimme in meinem Ohr. Er sagte, ich müsse über die Form hinausgehen; die Form sei lediglich ein Stadium, ein Zwischenhalt, der dem Reisenden ins Unbekannte zeitweilig Friede und Gelassenheit schenke, der jedoch steril und statisch sei. Es sei lediglich ein gespiegeltes Bild in einem Spiegel, und zugleich der Spiegel selbst. Das Bild aber sei das Bild des Menschen.
Ich lehnte mich inbrünstig auf gegen das, was Don Juan sagte: ich bäumte mich auf gegen seine lästerlichen Sakrilegien. Ich wollte ihm den Mund verbieten, aber ich konnte die bannende Kraft meines Sehens nicht aufbrechen. Ich war darin gefangen. Don Juan schien genau zu wissen, wie ich mich fühlte, und was ich ihm sagen wollte.
»Du kannst dem Nagual nicht den Mund verbieten«, sagte er mir ins Ohr. »Der Nagual ist es, der dich befähigt, zu sehen. Es ist die Technik des Nagual, die Kraft des Nagual. Der Nagual ist der Führer.«
An diesem Punkt wurde mir etwas klar über die Stimme in meinem Ohr. Es war nicht Don Juans Stimme, auch wenn sie ganz ähnlich klang wie die seine. Auch hatte die Stimme recht. Der Urheber meines Sehens war der Nagual Juan Matus. Es waren seine Technik und seine Kraft, die mich Gott sehen ließen. Er sagte nun aber, es sei nicht Gott, sondern die Form des Menschen; ich wußte, daß er recht hatte. Und doch konnte ich es nicht zugeben - nicht aus bösem Willen oder aus Verstocktheit, sondern aus einem Gefühl unendlicher Treue und Liebe zu dem Göttlichen, das da vor mir war.
Während ich mit aller Inbrunst, deren ich fähig war, in das Licht starrte, fing das Licht an sich zu verdichten, und ich sah einen Mann. Einen leuchtenden Mann, der Charisma ausstrahlte. Der Liebe, Verstehen, Aufrichtigkeit und Wahrheit ausstrahlte. Ein Mann, der die Quintessenz alles Guten war. Die Inbrunst, mit der ich diesen Mann sah, übertraf alles, was ich je in meinem Leben empfunden hatte. Ich fiel auf die Knie. Ich wollte den Mensch gewordenen Gott anbeten, aber Don Juan schritt ein und versetzte mir einen Schlag auf die Brust, in Höhe des Schlüsselbeins, und ich verlor den Anblick Gottes. Mir verblieb ein peinigendes Gefühl, eine Mischung aus Reue und Erhebung, aus Gewißheit und
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