Das Feuer von Innen
heutigen Philosophen, hatten sie keine Macht über ihre eigenen Gedankengebäude. Die neuen Seher dagegen, von praktischem Geist durchdrungen, vermochten den Fluß der Emanationen zu sehen, und sie sahen auch, wie der Mensch und die anderen Lebewesen diese Emanationen nutzen, um daraus ihre jeweilige wahrnehmbare Welt aufzubauen.«
»Wie nutzt der Mensch die Emanationen, Don Juan?« »Es ist so einfach, daß es idiotisch klingt. Für einen Seher sind die Menschen leuchtende Wesen. Unsere Leuchtkraft besteht aus jenem Teil der Emanationen des Adlers, der in unseren eiförmigen Kokon eingeschlossen ist. Dieser kleine Teil, diese Handvoll eingeschlossener Emanationen ist das, was uns zu Menschen macht.
Wahrnehmen heißt, die im Innern des Kokons enthaltenen Emanationen in Übereinstimmung zu bringen mit jenen außerhalb.
Die Seher können zum Beispiel die Emanationen im Innern des Kokon sehen und erkennen, welche der äußeren Emanationen mit ihnen übereinstimmen.«
»Sind die Emanationen so etwas wie Lichtstrahlen?« fragte ich.
»Nein. Gar nicht. Das wäre zu einfach. Sie sind etwas Unbeschreibliches. Und doch würde ich sagen, sie sind so etwas wie Lichtfäden. Was dem Normal-Bewußtsein unbegreiflich ist, ist die Tatsache, daß diese Fäden bewußt sind. Ich kann dir nicht sagen, was dies bedeutet, weil ich das, wovon ich rede, nicht mit Sicherheit weiß. Mit meiner persönlichen Auffassung kann ich dir nur drei Dinge sagen: Die Fäden sind ihrer selbst bewußt, lebendig und vibrierend. Es sind so viele, daß Zahlenangaben sinnlos wären. Und jeder einzelne ist für sich selbst eine Ewigkeit.«
4. Die Glut der Bewußtheit
Don Juan, Don Genaro und ich waren aus den umliegenden Bergen zurückgekehrt, wo wir Pflanzen gesammelt hatten. Wir waren in Don Genaros Haus und saßen um den Tisch, als Don Juan mich in eine andere Ebene der Bewußtheit überwechseln ließ. Don Genaro hatte mich angestarrt und fing nun an zu kichern. Er meinte, wie seltsam er es doch fände, daß ich zwei völlig verschiedene Verhaltensmuster gegenüber den beiden Seiten des Bewußtseins zeigte. Meine Beziehung zu ihm sei das offenkundigste Beispiel dafür. Befand ich mich auf der rechten Seite, dann war er der respektierte und gefürchtete Zauberer Don Genaro, ein Mann, dessen unbegreifliche Taten mich begeisterten und gleichzeitig mit Todesangst erfüllten. Auf der linken Seite war er einfach Genaro, oder Genarito, ohne würdigen >Don< vor seinem Namen, ein bezaubernder, freundlicher Seher, dessen Taten ganz verständlich waren - und auch vereinbar mit dem, was ich tat oder zu tun versuchte.
Ich konnte ihm nur beipflichten. Auf meiner linken Seite, fügte ich hinzu, gebe es allerdings einen Mann, dessen bloße Gegenwart mich wie ein Blatt im Winde zittern ließ, nämlich Silvio Manuel, den geheimnisvollsten unter Don Juans Gefährten. Don Juan selbst, als wahrer Nagual, stünde für mich über solchen willkürlichen Verhaltensnormen, geachtet und bewundert in beiden Bewußtheitszuständen.
»Aber auch gefürchtet?« fragte Genaro mit bebender Stimme.
»Sehr gefürchtet«, warf Don Juan mit Falsettstimme ein. Wir lachten, aber Don Juan und Genaro lachten so überschwenglich, daß ich sofort argwöhnte, sie wüßten etwas, das sie mir vorenthielten.
Don Juan las meine Gedanken wie ein offenes Buch. Er erklärte mir, daß man in dem Zwischenstadium, bevor man ganz in die linke Seite des Bewußtseins eintrete, ungeheurer Konzentration fähig sei, aber auch anfällig für alle nur denkbaren äußeren Einflüsse. Ich selbst sei nun vom Mißtrauen beeinflußt. »La Gorda ist dauernd in diesem Zustand«, sagte er. »Sie lernt hervorragend, aber sie ist ein gewaltiger Quälgeist. Sie kann nicht anders, sie überläßt sich allem, was über sie kommt, einschließlich sehr guter Dinge natürlich, wie etwa scharfer Konzentration.«
Die neuen Seher, erklärte Don Juan, hätten nämlich herausgefunden, daß diese Übergangsphase der beste Zeitpunkt sei für ein gründliches Lernen. Es sei aber auch die Zeit, da der Krieger überwacht werden müsse und ihm Erklärungen gegeben werden sollten, damit er diese richtig einschätzen könne. Würden ihm keine Erklärungen gegeben, bevor er auf die linke Seite hinübergewechselt sei, dann könne er zwar ein großer Zauberer werden, aber ein armseliger Seher - wie die alten Tolteken es waren. Besonders die Kriegerinnen verfallen dem Zauber der linken Seite, sagte er. Sie seien so gewandt, daß sie
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