Das Feuer von Innen
der Lebewesen steckt. Mit Recht nannten sie ihn die Glut des Bewußtseins.« Die alten Seher, erklärte er, sahen, daß das Bewußtsein des Menschen ein bernsteinheller Glutschimmer sei, viel intensiver leuchtend als der übrige Kokon. Diese Glut finde sich auf einem schmalen, senkrechten Band an der rechten Außenseite des Kokon und ziehe sich über seine ganze Länge hin. Es sei die Kunst der alten Seher gewesen, diese Glut zu verschieben, sie von ihrer ursprünglichen Stelle an der Oberfläche des Kokon über die ganze Breite nach innen wandern zu lassen. Er unterbrach sich und sah Genaro an, der noch immer schlief. »Genaro pfeift auf all diese Erklärungen«, sagte er. »Er ist ein Mann der Tat. Mein Wohltäter stellte ihn dauernd vor unlösbare Probleme. Darum trat er unmittelbar in die linke Seite des Bewußtseins ein und hatte niemals Gelegenheit, viel zu fragen oder zu klagen.«
»Ist es nicht besser so, Don Juan?«
»Kommt darauf an. Für ihn ist es das Richtige. Für dich und für mich wäre es nicht befriedigend, weil wir, auf die eine oder andere Weise, zum Erklären berufen sind. Genaro oder mein Wohltäter gleichen eher den alten als den neuen Sehern: mit Hilfe der Glut des Bewußtseins können sie Kontrolle üben und tun, was immer ihnen beliebt.«
Er erhob sich von der Matte, auf der wir saßen, und streckte seine Arme und Beine. Ich drängte ihn, weiterzusprechen. Er lächelte und meinte, ich brauchte eine Pause, denn meine Konzentration habe nachgelassen.
Es klopfte an der Tür. Ich erwachte. Es war dunkel. Einen Augenblick lang konnte ich mich nicht erinnern, wo ich war. Etwas in mir war weit entfernt, als ob ein Teil von mir noch immer schliefe, und doch war ich hellwach. Durchs offene Fenster fiel genügend Mondlicht ein, daß ich sehen konnte. Ich sah, wie Don Genaro aufstand und zur Tür ging. Mir wurde klar, daß ich mich in seinem Haus befand. Don Juan lag in tiefem Schlaf auf einer Matte am Boden. Ich hatte die bestimmte Ahnung, daß wir drei eingeschlafen waren, nachdem wir von einem Ausflug in die Berge zurückgekehrt waren. Don Genaro zündete seine Petroleumlampe an. Ich folgte ihm hinaus in die Küche. Irgend jemand hatte ihm einen Topf warmen Eintopf und einen Stapel Tortillas gebracht. »Wer hat dir Essen gebracht?« fragte ich. »Hast du hier eine Frau, die für dich kocht?«
Don Juan war mittlerweile in die Küche gekommen. Die beiden blickten mich an und lächelten. Aus irgendeinem Grund ängstigte mich ihr Lächeln. Ich wollte schon losschreien vor Angst, als Don Juan mich auf den Rücken schlug und mich in den Zustand gesteigerter Bewußtheit überwechseln ließ. Da erkannte ich, daß ich, vielleicht im Schlaf oder beim Aufwachen, in mein normales Alltagsbewußtsein zurückgeglitten war.
Das Gefühl, das ich nun - wieder im Zustand gesteigerter Bewußtheit - empfand, war eine Mischung aus Erleichterung und Ärger und schmerzender Traurigkeit. Ich war erleichtert, daß ich wieder ich selbst war, denn mittlerweile betrachtete ich diese unbegreiflichen Zustände als mein wahres Selbst. Dafür gab es einen einfachen Grund: in diesen Zuständen fühlte ich mich vollkommen; mir fehlte nichts. Ärger und Traurigkeit waren eine Reaktion auf meine Ohnmacht. Mehr denn je war ich mir der Begrenztheit meiner Existenz bewußt.
Ich bat Don Juan, mir zu erklären, wie es möglich sei, daß ich solche Empfindungen hatte. Im Zustand gesteigerter Bewußtheit konnte ich zurückblicken und mich an alles erinnern, was mit mir zu tun hatte; ich konnte mir Rechenschaft ablegen über alles, was ich in dem einen oder dem anderen Zustand getan hatte. Ich erinnerte mich sogar an meine Unfähigkeit, mich zu erinnern. Kaum war ich aber auf meine normale, alltägliche Bewußtseinsebene zurückgekehrt, konnte ich mich an nichts mehr erinnern, was ich im Zustand gesteigerter Bewußtheit getan hatte, und koste es mein Leben.
»Hör auf, hör nur auf«, sagte er. »Bis jetzt hast du dich an gar nichts erinnert. Gesteigerte Bewußtheit ist nur eine Zwischenphase. Dahinter liegt noch unendlich mehr, und du bist viele, viele Male dort gewesen. Jetzt aber kannst du dich nicht daran erinnern, und wenn dein Leben davon abhinge.« Er hatte recht. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Ich bat ihn um eine Erklärung.
»Die Erklärung kommt noch«, sagte er. »Sie braucht längere Zeit, aber wir kommen noch zu ihr. Sie braucht lange, weil ich dir ähnlich bin: ich möchte verstehen. Ich bin das Gegenteil
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