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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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auf den Stein knien, um meine Rückenschmerzen zu lindern. Don Juan flüsterte mir zu, daß meine Beschwerden sofort verschwinden würden, wenn der Verbündete auftauchte. Er hatte völlig recht. Der Schock, eine runde Figur am Rande des Spiegels auftauchen zu sehen, verscheuchte alle meine Beschwerden.
    »Was tun wir jetzt?« flüsterte ich.
    »Entspanne dich und richte deinen Blick aus, aber auf nichts Bestimmtes, auch nicht für einen Moment«, antwortete er. »Beobachte alles, was im Spiegel erscheint. Blicke, ohne zu starren.«
    Ich gehorchte. Mit flüchtigen Blicken streifte ich alles, was im Rahmen des Spiegels zu sehen war. In meinen Ohren tönte ein eigenartiges Summen. Don Juan flüsterte, ich solle, falls ich mich von einer unheimlichen Macht eingehüllt fühlte, meine Augen im Uhrzeigersinn rollen; auf gar keinen Fall, so betonte er, sollte ich den Kopf heben und ihn anschauen.
    Nach einer Weile bemerkte ich, daß der Spiegel mehr als das Spiegelbild unserer Gesichter und der runden Figur zurückwarf. Seine Fläche hatte sich verdunkelt. Punkte von intensiv violettem Licht tauchten auf. Sie wurden größer. Da waren auch jettschwarze Punkte. Dann wurde daraus so etwas wie das flache Bild eines wolkigen Nachthimmels im Mondlicht. Plötzlich rückte, wie im Film, die ganze Fläche scharf ins Bild. Die neue Einstellung war ein atemberaubender, dreidimensionaler Ausblick in die Tiefen.
    Ich wußte, daß es mir unmöglich sein würde, die ungeheure Anziehung dieses Bildes abzuwehren. Es fing schon an, mich in sich hineinz uzi ehen.
    Don Juan flüsterte eindringlich, ich solle meine Augen rollen, falls mir mein Leben lieb wäre. Diese Bewegung brachte mir sofort Erleichterung. Ich konnte wieder unsere Spiegelbilder von jenem des Verbündeten unterscheiden. Dann verschwand der Verbündete und tauchte am anderen Rand des Spiegels wieder auf. Don Juan befahl mir, den Spiegel mit aller Kraft festzuhalten. Er ermahnte mich, Ruhe zu bewahren und keine plötzliche Bewegung zu machen.
    »Was wird jetzt passieren?« flüsterte ich.
    »Der Verbündete wird versuchen, herauszukommen«, erwiderte er.
    Kaum hatte er es gesagt, da spürte ich einen mächtigen Ruck. Irgend etwas riß an meinen Armen. Der Ruck kam von unter dem Spiegel her. Es war wie ein Sog, der einen einheitlichen Druck auf den ganzen Rahmen ausübte.
    »Halte den Spiegel fest, aber paß auf, daß er nicht zerbricht«, befahl Don Juan. »Stemme dich gegen den Sog. Gib acht, daß der Verbündete den Spiegel nicht zu tief sinken läßt.« Die Kraft, die uns hinunterzog, war gewaltig. Ich glaubte, meine Finger würden brechen oder an den Steinen am Boden zerquetscht werden. Irgendwann verloren Don Juan und ich beide das Gleichgewicht und mußten von unseren flachen Steinen ins Wasser hinabsteigen. Das Wasser war ziemlich seicht, aber der Verbündete rüttelte mit so beängstigender Kraft von allen Seiten her an dem Spiegel, daß es uns vorkam, als stünden wir in einem reißenden Fluß. Das Wasser wirbelte schäumend um unsere Füße, doch die Bilder im Spiegel blieben ungetrübt. »Paß auf!« schrie Don Juan. »Da kommt es!«
    Das Ziehen schlug um in ein Stoßen von unten. Irgend etwas packte den Rand des Spiegels; nicht den äußeren Rand des Rahmens, den wir festhielten, den inneren Rand des Glases. Es war, als sei die Glasfläche tatsächlich ein offenes Fenster, und irgend etwas oder irgend jemand schicke sich eben an, hindurchzuklettern.
    Don Juan und ich mühten uns verzweifelt, den Spiegel hinunterzudrücken, sobald er nach oben gestoßen wurde, oder ihn heraufzuziehen, sobald er hinuntergezogen wurde. In gebückter Haltung bewegten wir uns langsam vom Ausgangspunkt bachabwärts. Das Wasser wurde tiefer, und der Grund war mit glatten Steinen bedeckt.
    »Los, wir ziehen den Spiegel aus dem Wasser und schütteln ihn ab«, sagte Don Juan mit rauher Stimme.
    Das lärmende Rütteln hielt unvermindert an. Es war, als hätten wir mit bloßen Händen einen großen, wild zappelnden Fisch gefangen.
    Mir kam die Idee, daß dieser Spiegel so etwas wie eine Luke sei. Tatsächlich versuchte eine sonderbare Gestalt, durch diese Luke zu steigen. Mit voller Wucht lehnte sie sich auf den Rand der Luke, und sie war so groß, daß sie das Spiegelbild von Don Juans Gesicht und meinem verdrängte. Ich sah uns nicht mehr. Ich konnte nur noch eine unförmige Masse erkennen, die sich hochzustemmen versuchte.
    Der Spiegel lag nicht mehr am Boden auf. Meine Finger wurden nicht

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