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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mehr gegen die Steine gedrückt. Der Spiegel hing in mittlerer Tiefe, in der Schwebe gehalten durch die widerstreitenden Kräfte, die der Verbündete und wir mit unserem Ziehen und Stoßen ausübten. Don Juan sagte, er werde nun seine Hände unter den Spiegel schieben, und ich solle sie ganz schnell fassen, damit wir mehr Hebelkraft hätten, den Spiegel mit unseren Unterarmen herauszuziehen. Als er losließ, kippte der Spiegel zur Seite. Rasch griff ich nach seinen Händen, aber ich griff ins Leere. Ich zauderte eine Sekunde zu lange, und der Spiegel glitt uns aus den Händen. »Pack ihn! Pack ihn!« schrie Don Juan. Ich erwischte den Spiegel, kurz bevor er auf den Steinen aufschlug. Ich zog ihn aus dem Wasser, aber nicht schnell genug. Das Wasser war zäh wie Leim. Während ich den Spiegel herauszog, zog ich auch ein wenig von einer schweren, gummiartigen Substanz heraus, die mir den Spiegel einfach aus den Händen und zurück ins Wasser riß.
    Mit außerordentlicher Behendigkeit fing Don Juan den Spiegel auf und zog ihn mühelos schräg aus dem Wasser.
    Noch nie im Leben hatte ich einen solchen Anfall von Schwermut gehabt. Es war eine Traurigkeit ohne erkennbaren Grund. Ich verknüpfte sie mit der Erinnerung an die Tiefen, die ich im Spiegel gesehen hatte. Es war eine Mischung aus reiner Sehnsucht nach diesen Tiefen und absoluter Furcht vor ihrer beklemmenden Einsamkeit.
    Don Juan stellte fest, daß es im Leben des Kriegers ganz natürlich sei, ohne offenkundigen Grund traurig zu sein. Die Seher behaupteten, daß das leuchtende Ei, als Energiefeld, seine letzte Bestimmung spüre, sobald die Schranken des Bekannten durchbrochen seien. Schon ein flüchtiger Blick in die Ewigkeit außerhalb des Kokon genüge, um die Behaglichkeit unseres Inventars zu stören. Die daraus folgende Schwermut sei manchmal so stark, daß sie den Tod herbeiführen könne.
    Das beste Mittel, um diese Schwermut loszuwerden, sagte er, bestünde darin, sich darüber lustig zu machen. In spöttischem Ton meinte er, meine erste Aufmerksamkeit gebe sich alle Mühe, die Ordnung wiederherzustellen, die durch meinen Kontakt mit dem Verbündeten gestört worden sei. Da es unmöglich sei, sie mit rationalen Mitteln wiederherzustellen, versuche meine erste Aufmerksamkeit es, indem sie ihre ganze Kraft auf die Traurigkeit konzentriere.
    Dies ändere aber nichts an der Tatsache, so sagte ich ihm, daß meine Schwermut real sei. Daß ich mich ihr überließ, daß ich Trübsal blies und deprimiert war, habe nichts mit dem Gefühl des Alleinseins zu tun, das ich bei der Erinnerung an jene Tiefen empfunden hätte.
    »Endlich fängst du an, etwas zu begreifen«, sagte er. »Du hast recht. Es gibt nichts Einsameres als das Alleinsein. Und nichts ist für uns behaglicher, als ein Mensch zu sein. Tatsächlich ist dies schon wieder ein Widerspruch: wie kann der Mensch die Bindungen seines Menschseins behalten und sich gleichwohl mit Freuden und absichtlich in die absolute Einsamkeit der Ewigkeit vorwagen? Wenn du erst dieses Rätsel gelöst hast, wirst du bereit sein für die endgültige Reise.«
    Jetzt wußte ich mit absoluter Gewißheit den Grund für meine Traurigkeit. Es war ein oft wiederkehrendes Gefühl bei mir, das ich stets vergaß, bis ich wieder dasselbe erkannte: die Winzigkeit des Menschseins gegenüber der Unermeßlichkeit jenes Ding-an-sich, das ich im Spiegel reflektiert gesehen hatte. »Der Mensch ist wirklich ein Nichts, Don Juan«, sagte ich. »Ich weiß genau, was du meinst«, sagte er. »Sicher, wir sind nichts. Aber genau dies macht die elementare Herausforderung aus, daß wir, ein Nichts, tatsächlich der Einsamkeit der Ewigkeit entgegentreten können.«
    Er wechselte unvermittelt das Thema und ließ mich, meine nächste Frage unausgesprochen, mit offenem Mund stehen. Er fing an, unsere Kraftprobe mit dem Verbündeten zu erörtern. Vor allem, so sagte er, sei dieser Kampf mit dem Verbündeten kein Scherz gewesen. Es war, wie er meinte, eigentlich keine Frage auf Leben und Tod, aber es sei auch kein Picknick gewesen.
    »Ich habe mich für diese Technik entschieden«, fuhr er fort, »weil mein Wohltäter sie mir zeigte. Als ich ihn bat, mir ein Beispiel für die Techniken der alten Seher zu zeigen, wälzte er sich vor Lachen beinah am Boden. Meine Bitte erinnerte ihn so sehr an sein eigenes Erlebnis. Auch sein Wohltäter, der Nagual Elias, hatte ihm eine grausame Demonstration dieser Technik erteilt.« Nachdem Don Juan selbst den Rahmen seines

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