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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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praktiziert. Sie sind ungeheuer wirksam, aber meistens sind sie tödlich.« Beschämt gestand ich ihm, daß ich erschüttert sei. Diese Gestalt im Spiegel zu sehen und die Empfindung einer Macht, die mich von überall einhüllte, das sei einfach zuviel für mich gewesen an diesem Tag.
    »Ich will dich nicht beunruhigen«, sagte er, »aber bis jetzt ist ja noch nichts passiert. Falls wir das, was mir einst passierte, als Anhaltspunkt nehmen können für das, was dir passieren wird, solltest du dich auf den Schock deines Lebens gefaßt machen. Besser, du schlotterst jetzt in den Stiefeln, als daß du morgen stirbst vor Angst.«
    Meine Angst war so schlimm, daß ich nicht einmal die Fragen formulieren konnte, die mir in den Sinn kamen. Ich mußte mehrmals kräftig schlucken. Don Juan lachte, bis er hustete. Sein Gesicht wurde purpurrot. Als ich meine Stimme wiederfand, löste jede meiner Fragen erneut einen hustenden Lachanfall aus. »Du hast gar keine Ahnung, welch ein Spaß dies alles für mich ist«, meinte er schließlich. »Ich lache nicht über dich. Nur über die Situation. Mein Wohltäter ließ mich dieselben Sachen durchmachen, und wenn ich dich so sehe, dann kann ich nicht anders -ich sehe mich selbst.«
    Ich sagte ihm, daß mir furchtbar übel sei. Das sei gut, meinte er, denn es sei ganz natürlich, zu erschrecken, und es sei falsch und sinnlos, die Furcht unterdrücken zu wollen. Die alten Seher, sagte er, seien dadurch in die Falle geraten, daß sie ihr Erschrecken zu unterdrücken suchten, während sie eigentlich besinnungslos vor Angst hätten sein sollen. Da sie weder ihre Aktivitäten aufgeben noch sich von ihren tröstlichen Ideenkonstruktionen trennen wollten, hätten sie statt dessen ihre Angst kontrolliert. »Was werden wir noch mit dem Spiegel machen?« fragte ich. »Dieser Spiegel wird uns gute Dienste leisten bei einer direkten Begegnung zwischen dir und dem Geschöpf, das du gestern nur kurz erblickt hast.«
    »Was geschieht bei solch einer direkten Begegnung?« »Nun, es geschieht, daß eine Lebensform, die menschliche Form, einer anderen Lebensform begegnet. In diesem Fall, würden die alten Seher sagen, war es ein Geschöpf aus der ersten Ebene der Flüssigkeit des Wassers.«
    Die alten Seher, erklärte er, hätten vermutet, daß die sieben Ebenen dort unten Ebenen der Flüssigkeit des Wassers seien. Eine Quelle habe für sie eine unglaublich große Bedeutung gehabt, weil sie glaubten, daß die Flüssigkeit des Wassers in diesem Fall ihre Richtung umkehre und einen Weg aus der Tiefe zur Oberfläche bahne. Sie sahen darin ein Mittel, das es Geschöpfen aus anderen Ebenen, diesen anderen Lebensformen, ermöglichte, in unsere Ebene heraufzukommen, um uns zu betrachten, uns zu beobachten.
    »In dieser Hinsicht hatten sich die alten Seher nicht geirrt«, fuhr er fort. »Sie trafen den Nagel genau auf den Kopf. Denn es ist wahr, daß solche Wesen, die die alten Seher als Verbündete bezeichneten, in der Nähe von Wasserlöchern auftreten.« »War das Geschöpf im Spiegel ein Verbündeter?« fragte ich. »Gewiß. Aber keiner, der von Nutzen sein könnte. Die Überlieferung der Verbündeten, von der ich dir bereits erzählt habe, geht direkt auf die alten Seher zurück. Sie vollbrachten Wunder mit Hilfe ihrer Verbündeten, aber was immer sie vollbrachten, es nützte ihnen nichts, als der wirkliche Feind kam - ihre Mitmenschen.«
    »Nachdem diese Geschöpfe Verbündete sind, müssen sie wohl sehr gefährlich sein«, sagte ich.
    »So gefährlich wie wir Menschen. Nicht mehr, nicht weniger.« »Können sie uns töten?«
    »Nicht unmittelbar. Aber sie können uns gewiß zu Tode erschrecken. Sie können ganz herüberkommen über die Grenze, oder sie begnügen sich damit, nur ans Fenster zu kommen. Wie du inzwischen erkannt hast, blieben auch die alten Tolteken nicht vor dem Fenster stehen. Sie entdeckten unheimliche Wege, um dort hinein zu gelangen.
    Die zweite Phase jsner Technik, die Don Juan mir zeigte, verlief ganz ähnlich wie die erste, nur daß ich doppelt so lange brauchte, um mich zu entspannen und meinen inneren Aufruhr zu beruhigen. Als mir dies gelungen war, wurde das Spiegelbild von Don Juans und meinem Gesicht sofort klar. Etwa eine Stunde lang blickte ich zwischen seinem Spiegelbild und dem meinen hin und her. Ich erwartete, der Verbündete werde jeden Moment erscheinen, aber nichts geschah. Mein Nacken schmerzte. Mein Rücken wurde steif, und meine Beine waren schon taub. Ich wollte mich

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