Das Feuer von Innen
Scheibe Schmelzkäse, eingelagert in eine Kugel Weichkäse. »Wenn diese Weichkäsekugel nun durchsichtig wäre«, fuhr er fort, »könnte man sie als perfektes Modell des menschlichen Kokon auffassen. Der Schmelzkäse durchzieht das ganze Innere der Weichkäsekugel. Es ist eine Schicht, die von der einen Seite der Oberfläche zur anderen reicht.
Der Montagepunkt des Menschen liegt nun weiter oben, ungefähr im obersten Viertel der Eiform, an der Oberfläche des Kokon. Wenn nun der Nagual auf diesen Punkt intensiver Leuchtkraft einen Druck ausübt, bewegt sich der Punkt in die Schmelzkäse-Scheibe hinein. Gesteigerte Bewußtheit stellt sich ein, wenn das starke Leuchten des Montagepunktes die schlafenden Emanationen weit im Innern der Schicht Schmelzkäse hervorhebt. Zu sehen, wie das Leuchten des Montagepunkts in die Scheibe hineingleitet, vermittelt den Eindruck, als verschiebe er sich auf der Oberfläche des Kokon nach links.«
Er wiederholte diesen Vergleich drei- oder viermal, aber ich verstand nicht, und er mußte mir die Sache noch ausführlicher erklären. Die Durchsichtigkeit der leuchtenden Eiform, so sagte er, erwecke den Eindruck einer Bewegung nach links, während die Bewegung des Montagepunktes in Wirklichkeit einzig in die Tiefe führe, zum Mittelpunkt des leuchtenden Eies, über die Breite des menschlichen Bandes.
Ich wandte ein, dies höre sich an, als ob die Seher beim Sehen ihre Augen benützten.
»Der Mensch ist nicht das Unerkennbare«, sagte er. »Das Leuchten des Menschen kann man sehen, beinah als blickte man nur mit seinen Augen.« Die alten Seher, erklärte er weiter, hätten die Bewegung des Montagepunktes gesehen, aber es sei ihnen nie in den Sinn gekommen, daß es eine Bewegung in die Tiefe sein könne. Statt dessen vertrauten sie auf ihr Sehen und prägten die Bezeichnung Verschiebung nach links<, die die neuen Seher beibehielten, wohl wissend, daß es irrig sei, von einer Verschiebung nach links zu sprechen.
Er selbst, so sagte er, habe im Verlauf meiner Lehrzeit bei ihm meinen Montagepunkt unzählige Male in Bewegung versetzt, wie auch eben, im gegenwärtigen Augenblick. Da die Verschiebung des Montagepunktes stets in die Tiefe führte, hätte ich nie das Gefühl meiner Identität verloren, trotz der Tatsache, daß ich dabei immer Emanationen nutzte, die ich noch nie zuvor genutzt hätte.
»Wenn der Nagual diesen Punkt anstößt«, fuhr er fort, »landet der Punkt irgendwo auf dem menschlichen Band. Aber wo, das ist völlig gleichgültig, denn wo er auch landen mag, es ist immer jungfräulicher Boden.
Der große Test, den die neuen Seher für ihre KriegerLehrlinge entwickelten, besteht darin, den Weg, den der Montagepunkt unter dem Einfluß des Nagual genommen hat, zurückzuverfolgen. Dieses Zurückverfolgen, wenn es abgeschlossen ist, nennt man die wiedererlangte Ganzheit des Selbst.«
Die neuen Seher behaupteten nun, sagte er, daß die Glut der Bewußtheit, sobald sie - im Laufe unserer Entwicklung - auf das menschliche Band der Emanationen fällt und einige von ihnen auswählt, um sie hervorzuheben, in einen ewigen Kreislauf gerate. Je stärker der Montagepunkt gewisse Emanationen hervorhebe, desto stabiler werde seine Position. Im gleichen Sinn könne man sagen, daß unser Befehl zum Befehl des Adlers wird. Wenn sich unser Bewußtsein zur ersten Aufmerksamkeit weiterentwickele, dann werde der
Befehl selbstverständlich so mächtig, daß es einen echten Sieg bedeute, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und den Montagepunkt in Bewegung zu setzen. Der Montagepunkt, sagte Don Juan, sei auch dafür verantwortlich, daß sich die Wahrnehmungen der ersten Aufmerksamkeit in Bündeln organisierten. Ein Beispiel für ein solches Bündel von Emanationen, die gemeinsam hervorgehoben würden, sei der menschliche Körper, wie wir ihn wahrnähmen. Ein anderer Teil unseres gesamten Wesens, nämlich unser leuchtender Kokon, erfahre keine Hervorhebung durch die erste Aufmerksamkeit und falle daher dem Vergessen anheim. Denn der Montagepunkt bewirke nicht nur, daß wir Emanationen in Bündeln wahrnehmen, sondern auch, daß wir andere Emanationen vergessen. Als ich Don Juan bat, mir diesen Bündelungsvorgang genauer zu erklären, erwiderte er, daß der Montagepunkt ein Leuchten ausstrahle, das Bündel von eingeschlossenen Emanationen zusammenfasse. Diese Bündel richteten sich dann, und zwar bündelweise, an den allgemeinen Emanationen aus. Die Zusammenfassung erfolge auch dann, wenn der
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