Das Feuer von Konstantinopel
so: Lieber Onkel Fidelius, bitte schicke dringend eine angemessene Tüte Sonnenblumenkerne, vorzugsweise ohne Schale, aus der Gegend um Büyük çekmece, die der lieben Suleika so herrlich munden... – Was ist mit dir? Du schreibst ja gar nicht?“
Felix war längst vom Schreibtisch aufgestanden, hatte sich sein Fernglas genommen und suchte nun vom Fenster aus die Gegend ab, als wäre der Mann mit dem roten Handschuh bereits in der Nähe.
„Ich habe keine Angst“, sagte er und ließ das Fernglas sinken.
Für einen Moment sahen sich Felix und Suleika wortlos an. Dann sprach der Vogel mit kleinlauter Stimme:
„Also gut... ich gebe dir die Hälfte der Kerne ab! Aber schreib endlich...!“
Felix musste lachen.
„Wahrscheinlich hast du Recht. Ich fange an, Gespenster zu sehen. Ich bilde mir das alles nur ein. Der hat doch nur versucht, mir Angst zu machen... und fast wäre es ihm auch gelungen!“
Noch ehe Suleika etwas erwidern konnte, läutete es unten an der Haustüre.
Nach einer Schrecksekunde schrie Suleika aufgeregt: „Öffne nicht!“
Doch zu spät: Mit dem Fernglas in der Hand bezog Felix oben auf der Treppe Position, um zu belauschen, was weiter passieren würde.
Die Mutter öffnete die Haustüre und ein Junge, etwa im Alter von Felix, stand im Eingang.
„Bitte gehorsamst: Ist der ehrenwerte Felix von Flocke zu Hause?“, fragte er mit einer schüchterner Stimme.
Frau von Flocke musterte ihn von oben bis unten: Seine Kleidung war schmutzig und zerschlissen und hing schlotternd an seinem mageren Körper. Die alte Schirmmütze hatte er sich vom Kopf gezogen und hielt sie jetzt in der Hand.
Einen richtigen Gassenjungen, hätte Fräulein Romitschka ihn genannt.
Die Mutter lächelte tapfer, der Junge schien ihr zu gefallen.
„Hat Felix etwas angestellt?“, fragte sie mit weicher Stimme.
„Bitte gehorsamst: Nein“, antwortete der fremde Junge und blickte dabei zu Boden, als würde er sich wegen irgendetwas schämen.
‚Typisch meine Mutter’, dachte sich Felix oben auf der Treppe und ärgerte sich über ihre Frage. Immer hatte sie ihn in Verdacht, dass er etwas angestellt hätte.
„Wie heißt du denn?“, wollte die Mutter jetzt wissen.
„Bitte gehorsamst: Man ruft mich Baptist“, antwortete der Junge und sah wieder auf zur Mutter. Dabei lächelte er kurz.
So freundlich und höflich wie die Mutter sprach wohl sonst niemand zu ihm, kombinierte Felix wie ein richtiger Detektiv.
„Baptist, was für ein schöner Name für einen Jungen! – Willst du nicht eintreten, Baptist?“
Mit einer Geste deutete die Mutter in die Eingangshalle. Felix fragte sich, warum sie das tat. Was fand sie an dem Jungen? Irgendwie schien sie verwirrt.
Baptist blickte kurz hinter sich, als müsste er erst einen Unsichtbaren um Erlaubnis fragen, ob er eintreten dürfe. Dann wagte er einen Schritt ins Haus.
„Warte hier, ich werde Felix Bescheid sagen. Nimm da vorne Platz, in der Zwischenzeit hole ich dir rasch ein Glas Milch und ein Honigbrot. Wie wäre das?“
„Bitte gehorsamst: Danke!“
Baptist knetete die Mütze in seiner Hand und setzte sich vorsichtig auf das Sofa, das in der Halle stand.
Frau von Flocke war in Richtung Küche verschwunden, sodass Felix den sonderbaren Jungen ungestört von der Treppe aus beobachten konnte.
Er hatte ihn noch nie zuvor in seinem Leben gesehen, noch hatte er jemals den seltsamen Namen Baptist gehört.
‚Mit dem stimmt etwas nicht’, soviel stand für Felix fest.
Unten auf dem Sofa rührte sich Baptist nicht. Er saß wie versteinert da und starrte die große Standuhr an. Seine Augen folgten dem goldenen Pendel. Er lauschte auf das tickende Räderwerk im Inneren der Uhr.
„Aus dieser Maschine kommt die Zeit!“, sagte er andächtig. Dann war er wieder still.
Er hat nicht einmal Schuhe, dachte Felix, als er Baptist durch das Fernglas genauer betrachtete.
Aber was machte er denn jetzt? Der fremde Junge stand auf und schlich sich zum Piano, das immer noch verschlossen mitten in der Halle stand. Dort war eine kleine Porzellanfigur abgestellt: eine Katze, die mit einem Ball spielte. Wie ein geübter Dieb und ohne zu zögern griff sich Baptist die Figur und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden.
Augenblicklich setzte Felix das Fernglas ab, schwang sich auf das Treppengeländer und sauste wie auf einer Rutsche abwärts. Der dreiste Diebstahl musste um jeden Preis verhindert werden.
„He, du!“, rief Felix.
Baptist erschrak, sein Herz schlug ihm bis zum
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