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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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erfahren...!“ Sie wiederholte die Worte immer wieder, immer wieder, schier endlos. Ihre kräftige Stimme zerriss einem das Herz.
    Sie ist blind, dachte sich Felix, sie ist blind und kann mich nicht sehen.
    Er hatte Recht. Die Sängerin war in der Tat blind. Ihre Augen lagen stumpf und milchig in ihrem Gesicht, unbeweglich und seelenlos.
    Was für eine sonderbare Person, dachte Felix noch.
    Das Lied neigte sich dem Ende zu, und Felix ging in das dunkle Zimmer zurück, um für sie ein Geldstück aus seiner Hosentasche zu holen.
    Aber kaum hatte er der ganzen Szenerie den Rücken zugekehrt, da erhob sich aufgeregtes Geschrei in der Gasse. Eine Art Tumult schien im Gange zu sein. Mit einem Schlag hatte etwas die Menschen da draußen aufgebracht.
    Felix wollte sich gerade aus dem Fenster beugen, um zu erkunden, was passiert war, da flog ihm die Krähe der blinden Sängerin fast ins Gesicht. Ihre schwarzen Flügel schlugen wie wild und sie landete oben auf dem Kleiderschrank, der hinten im Zimmer stand. Dort krallte sie sich fest und verharrte regungslos.
    Auf der Gasse drängten sich inzwischen die Menschen um die am Boden liegende Sängerin. Wie versteinert lag sie da. Sie war tot. Das wusste Felix sofort, obwohl er vorher noch nie einen Toten gesehen hatte. Eine Maske aus Wachs schien ihr Gesicht überzogen zu haben. Künstlich, wie eine Puppe in Lumpen, so sah sie jetzt aus, achtlos in den Staub der Straße geworfen.
    „Öffne die Hände!“, kreischte die Krähe vom Schrank herunter.
    Felix erschrak und drehte sich zu ihr um.
    „Du kannst ja sprechen!“
    „Öffne deine Hände!“, befahl sie ihm erneut, deutlich schärfer.
    Felix sah den schwarzen Vogel kurz an, dann trat er dicht ans Fenster und streckte seine Hände hinaus, die Handflächen himmelwärts gedreht.
    „Er darf ihre Seele niemals bekommen...!“, krächzte die Krähe und schlug wild mit den Flügeln um sich.
    Felix spürte einen kalten Luftzug an sich vorbeiziehen, der wie ein Messer durch die Hitze schnitt.
    Unten auf der Gasse luden Männer die tote Sängerin auf einen Eselskarren. Die Neugierigen, die eben noch da standen, um zu sehen, was vor sich ging, waren verschwunden. Das Leben ging weiter, als wäre nichts passiert.
    Felix stellte sich vor den Schrank und blickte zu der Krähe hoch.
    „Was ist mir ihr geschehen? Und wer ist ‚er’? Ist sie tot?“, wollte Felix wissen.
    „Oh, Junge, sie ist so tot wie der Pantoffel des Emirs von Izmir, wie hieß der doch gleich...?!“, fragte sich die Krähe und putzte dabei in aller Seelenruhe ihr Gefieder.
    „Es wird Zeit, dass ich mal wieder andere Luft atme. – Was ist mit dir? Ich sehe, du hast schon gepackt. So eine wunderschöne blaue Reisetasche, königlich! Wohin du auch gehst, ich werde mit dir kommen. Nein, danke mir nicht... diese Hitze hier ist nichts für Vögel, die schwarze Federn tragen. – Süleiman... so hieß der Emir! Genau: Süleiman! Auf mein Gedächtnis ist immer noch Verlass... Potz Teufel! Das soll mir erst mal jemand nachmachen!“
    „Die Polizei wird sich doch um den Fall kümmern...!“, überlegte Felix laut.
    „Die Polizei! Die Polizei!“, äffte ihn die Krähe nach. „Es gibt Dinge, die kann keine Polizei der Welt regeln. Damit musst du dich abfinden, Kleiner! Wo lebst du denn? – Hamdulillah , beim Barte des Propheten, Junge, Junge, was für ein Schlaumeier!“
    „Aber warum ist sie tot?“, wollte Felix von der Krähe wissen.
    Die blickte ihn aus pechschwarzen Augen an, hielt den Schnabel empört in die Luft und krächzte rau vor Heiserkeit: „Weil sie nicht mehr lebt! – Rattenschwanz und Krötenkacke, du stellst vielleicht Fragen...!“
     
    Das also war die Nacht, in der Suleika zu Felix kam. Onkel Fidelius und Tante Fatima waren von dem Charme der Krähe begeistert und schenkten Felix einen Vogelkäfig, damit er das Tier als Gepäck mit in den Balkanexpress nehmen konnte. So fuhr er die weite Strecke nach Berlin wenigstens nicht allein.
    Selbstverständlich erzählten weder Suleika noch Felix von dem Vorfall auf der Gasse. Suleika tat so, als könne sie nur ein Wort plappern:
    „ Merhaba “, was soviel wie „Seid gegrüßt“ auf Türkisch heißt.
    Dass sie – wie sie vor Felix behauptete – sich selbst in der Weltliteratur auskannte, Beziehungen zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Orients unterhielt und ein Menuett tanzen konnte, wie es damals am englischen Königshof Englands in Mode war, wurde verschwiegen. Suleika mochte keine

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