Das Feuer von Konstantinopel
Baptist an sich genommen.
Felix traute seinen Augen nicht. Er konnte gar nicht fassen, wie sich die Mutter von dem Betteljungen ausnutzen ließ. Und der ewige Schnee, hoch oben in den Bergen Tibets, kam ihm als Strafe viel zu harmlos vor für einen so ausgekochten Halunken wie diesen Baptist.
Jetzt wurde auch noch Fräulein Romitschka alarmiert und tauchte zu Felix’ Erstaunen mit einer Hose, einem Hemd und einer Jacke auf – alles alte Kleidungsstücke von Felix.
Als Felix protestierte, versuchten die Damen ihn mit den Worten zu beruhigen, er würde die Sachen doch sowieso nicht mehr anziehen.
Frau von Flocke zahlte für das Schmalzbrot, das Felix niemals gegessen hatte, das Baptist einfach frech erfunden hatte, um ins Haus zu kommen. Jetzt wurde er auch noch reichlich dafür belohnt.
Die alten Lumpen könnte er gleich da lassen, fand die Mutter und Fräulein Romitschka kam noch einmal angerannt, diesmal mit der Figur des ballspielenden Hundes, die oben im Treppenhaus auf dem Tischchen gestanden hatte. Schließlich gehörten die beiden Figuren ja zusammen, lachten die Frauen.
Baptist steckte die Beute gleich ein. Die neuen Taschen hatten garantiert keine Löcher, so etwas kam im Hause Flocke nicht vor. Für den kleinen Porzellanhund interessierte sich Baptist überhaupt nicht. Die Hauptsache für ihn war, dass seine Taschen voll wurden, mindestens so voll wie sein Magen.
„Du bleibst schön hier, Felix!“, fand die Mutter. „Baptist wird das Geld schon nicht verlieren.“
„Bestimmt nicht!“, versicherte der mit großer Unschuldsmiene.
Felix sah keinen anderen Ausweg, als sich zu fügen. Wenn die Erwachsenen so dumm waren und auf dieses Getue hereinfielen, was sollte er dann dagegen tun?
Vielleicht hatte Baptist ja Recht, die Flockes würden gar nicht merken, dass ihnen etwas fehlte.
„Nun dann, kleiner Mann...!“, sprach die Mutter, „Wenn du mal wieder in unserer Gegend bist und Lust auf ein Honigbrot hast, du weißt ja jetzt, wo wir wohnen.“
Baptist verbeugte sich tief aus übertriebener Höflichkeit.
„Danke für alles“, sagte er. „Sie müssen wissen: Wir sind alle mit Gott verbunden und Gott spricht viele Sprachen.“
Bei diesen Worten griff sich Fräulein Romitschka vor lauter Rührung ans Herz. Das arme Kind aber mochte sie nicht anfassen. Armut sei ansteckend, hatte sie einmal an ihre Cousine Hedwig geschrieben, als diese in einem Waisenhaus in Kalkutta arbeiten wollte, nur weil Fritz, ihr Verlobter, eine andere geheiratet hatte.
Feierlich kam Baptist auf Felix zu und sprach zu ihm:
„Du musst wissen: Du kennst mich nicht, aber bald wirst du sein wie ich!“
Noch während er diese Worte sprach, umarmte er Felix vor den Augen der beiden Frauen. Die wiegten sich vor Rührung hin und her. Felix aber prustete wie ein Delphin.
„Noch mehr Quatsch von der Sorte und ich erwürge dich eigenhändig!“, drohte er Baptist leise.
Baptist steckte Felix geschickt einen kleinen Zettel aus Papier zu.
„Kein Wort“, flüsterte er Felix ins Ohr.
Felix versteckte den Zettel unauffällig in seiner Hand.
‚Aha’, dachte sich Felix, ‚...dieser kleine Ganove ist mit seinen Tricks noch nicht am Ende.’ Er war gespannt, was jetzt noch alles kommen sollte.
„Fast hätte ich es vergessen...!“, rief Fräulein Romitschka aufgeregt. „Die Schuhe! Hier, zieh sie gleich an!“
In Windeseile schlüpfte der Junge in die Schuhe und lief damit trampelnd und stolpernd zur Haustüre hinaus auf die Straße. Schuhe zu tragen, war er offensichtlich nicht gewohnt.
Das also war Baptist – Baptist, der Dieb, dachte sich Felix und musste fast schon wieder lachen.
„Und wie er mich an Felix erinnert hat...!“, flötete Frau von Flocke beschwingt, als sie die Haustüre wieder schloss.
„Ja, wie aus dem Gesicht geschnitten, ganz der Felix... also, noch so einen und ich kündige!“, lachte Fräulein Romitschka, griff sich Milchglas und Tablett und verließ zusammen mit der Mutter die Halle.
‚Was die immer finden!’, dachte sich Felix und ging nachdenklich die Stufen nach oben. Auf halber Treppe blickte er noch einmal zurück auf den Haufen Lumpen, der zu Füßen des Klavierflügels liegen geblieben war.
Dann ging Felix weiter, gespannt darauf, was auf dem klein zusammengefalteten Zettel geschrieben stand.
4.
So viele Weisheiten liegen einfach am Wegesrand. Wer beachtet sie schon? Zu oft werden sie übersehen, weil die Menschen ständig damit beschäftigt sind, ihr Leben zu
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