Das Feuer von Konstantinopel
Herzen ankam. Doch er wollte ihn nicht so einfach entkommen lassen.
„Du gehst also von Haus zu Haus, klingelst, bittest um Einlass und stiehlst, was du kriegen kannst! Stimmt das?“, fragte Felix.
„Bestimmt nicht!“, beteuerte Baptist. Dabei leckte er sich mit der Zunge letzte Honigreste von den Lippen. „Du musst wissen: Gott zürnt, Gott tröstet, aber niemand sieht ihn... ich bin so arm, verstehst du, ihr seid reich. Niemand von euch hätte es gemerkt...!“
‚Er ist völlig verrückt’, dachte sich Felix, ‚...jemand muss ihm das alles beigebracht haben. Er weiß nicht wirklich, was er da redet.’
„Woher kennst du meinen Namen?“, wollte Felix jetzt von Baptist wissen.
Der fasste sich mit der rechten Hand an sein Herz und konnte seinen Blick nicht von den restlichen Honigbroten lassen. Ohne Felix anzusehen raunte er:
„Du musst wissen: Er kommt auf die Erde, in der Gestalt eines Menschen aus Fleisch und Blut...!“
„Ach ja! Dann erzähl ihm von den Honigbroten, wer immer er auch ist!“
Felix machte auf dem Absatz kehrt und wollte das Tablett hinaustragen. Sollte sich doch seine Mutter um den verwirrten Jungen kümmern, sie hatte ihn ja auch hereingelassen. Baptist erschrak und rief laut: „Warte!“
Felix blieb stehen.
„Bist du Felix von Flocke, oder nicht?“
Verzweifelt fing Baptist an, wieder in seinen Hosentaschen zu suchen. Hektisch wühlten seine Hände durch den dünnen Stoff.
„Du musst wissen: Der Allmächtige vergisst nichts... niemals“, murmelte er vor sich hin. Dabei entging ihm nicht, wie Felix langsam mit den Honigbroten näherkam.
„Meine Taschen haben Löcher, jeden Tag kommen neue dazu, andauernd verliere ich etwas. Erst gestern einen Nagel aus Eisen, dann eine Scherbe aus echtem Glas... er wird mich in den ewigen Schnee von Tibet schicken...!“
„Was suchst du denn?“, fragte Felix.
„Einen Zettel!“, antwortete Baptist und brach die Suche ab. Er fühlte sich völlig entmutigt.
„Was für einen Zettel? Was steht auf ihm geschrieben?“, fragte Felix ganz ruhig weiter.
„Keine Ahnung“, antwortete Baptist und zuckte mit den Schultern. Immer noch faszinierten ihn die Brote.
„Aber du hast ihn doch gelesen, so, wie ich dich kenne!“
„Da kennst du mich aber schlecht. Ich... ich kann nämlich nicht lesen.“ Baptist sah von den Broten auf zu Felix.
„Und woher, bitte schön, kennst du solche Sachen, wie den ewigen Schnee von Tibet?“ Felix fühlte sich von dem Jungen an der Nase herumgeführt.
„Ich kann dir noch viel mehr erzählen. Für ein Honigbrot verrate ich dir das Geheimnis der Dschunke der Gehängten oder singe dir das Lied der Königin von Saba! Aber lesen, lesen kann ich nicht, ob du es glaubst oder nicht!“
In diesem Moment kehrte die Mutter zurück. In der Hand trug sie ihren Geldbeutel.
„Mein Gott, Kinder, ihr habt ja gar nichts von den Honigbroten gegessen. Was ist denn los, Felix? Schmecken sie euch nicht?“
Felix wusste nicht wohin mit dem Stapel Brote. Er stellte das volle Tablett einfach auf dem Flügel ab.
„Doch, Mutter, sie sind köstlich. Aber Baptist muss jetzt leider nach Hause. Ich werde ihn begleiten, um seinem Großvater das Geld persönlich zu geben und mich bei ihm für das Versäumnis entschuldigen. Bin gleich wieder zurück. Du musst nämlich wissen, Baptist hat Löcher in den Hosentaschen und er verliert alles.“
Baptist rührte sich nicht von der Stelle und sah die Mutter an. Dicke Tränen quollen aus seinen brauen Augen, kullerten abwärts und zogen dabei helle Spuren über seine ungewaschenen Wangen.
Schließlich senkte er den Kopf, mutlos, wie ein Schaf im Regen.
„Und die Milch hast du auch nicht angerührt, Baptist“, sagte die Mutter mit ihrer warmen Vorlesestimme.
Felix wusste genau, dass nun alles zu spät war: Seine Mutter mochte Baptist, er hatte ihr Herz erobert. Es gab kein Zurück mehr. Und das alles wegen ein paar Tränen. Tränen, die nicht einmal echt waren, da war sich Felix sicher.
In aller Seelenruhe trank Baptist das Glas Milch aus. Seine großen Schlucke erzeugten ein Glucksen im Hals. Anschließend stopfte er sich Honigbrot um Honigbrot in den Mund und würgte alles in Sekundenschnelle hinunter.
Voller Rührung fragte die Mutter, ob er sich sonst noch etwas wünsche.
Ohne jeglichen Anflug von schlechtem Gewissen deutete er auf die Katze aus Porzellan, die mit einem Ball spielte.
Die Mutter lachte auf und rief: „Ach, das olle Ding...!“ Und schon hatte es
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