Das Flammende Kreuz
ich konnte in die wabernde Glut blicken und in der Erinnerung das große Feuer des gatherings sehen, die
dunklen Gestalten, die es umstanden, und ich hörte von fern den Klang der Geigen...
»Soll ich ihn suchen gehen?«, fragte Roger plötzlich leise.
Ich fuhr auf, aus meiner schläfrigen Hypnose gerissen. Ich rieb mir mit der Hand über das Gesicht und schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen.
»Nein. Es ist gefährlich, nachts in einen unbekannten Wald zu gehen, und du würdest ihn sowieso nicht finden. Wenn er bis zum Morgen nicht zurück ist - ist immer noch Zeit genug.«
Während die Minuten langsam vergingen, kam mir allmählich der Gedanke, dass die Dämmerung möglicherweise tatsächlich eher kommen würde als Jamie. Ich sorgte mich um Jamie - aber bis zum Morgen konnten wir wirklich nichts tun. Beunruhigende Gedanken versuchten, sich in meinen Kopf zu drängen; hatte Josiah ein Messer? Bestimmt hatte er das. Doch selbst, wenn er verzweifelt genug war, um es zu benutzen, war es möglich, dass er Jamie überrumpelte? Ich schob diese angstvollen Spekulationen beiseite und versuchte stattdessen, mich in Gedanken zu beschäftigen, indem ich den Hustentönen der Männer rings um das Feuer Zahlen zuordnete.
Nummer acht war Roger; ein tiefer, lockerer Husten, der seine Schultern erbeben ließ. Sorgte er sich um Brianna und Jemmy?, fragte ich mich. Oder fragte er sich, ob Brianna sich um ihn sorgte? Das hätte ich ihm sagen können, aber dieses Wissen hätte ihm auch nicht geholfen. Männer, die sich im Kampf befanden - oder sich zum Kampf rüsteten - , brauchten die Vorstellung, dass ihr Zuhause ein Ort äußerster Sicherheit war; die Überzeugung, dass dort alles zum Besten stand, hielt sie bei Laune und auf den Füßen, half ihnen zu marschieren und auszuharren. Andere Dinge wiederum würden sie zum Kämpfen bewegen, aber der Kampf macht nur einen so kleinen Teil des Krieges aus...
Einen verdammt wichtigen Teil , sagte Jamies Stimme in meinem Hinterkopf.
Schließlich nickte ich allmählich ein, erwachte aber wiederholt, weil mein Kopf heftig hoch ruckte. Beim letzten Mal wachte ich auf, weil ich Hände auf meinen Schultern spürte, jedoch nur kurz. Roger ließ mich zu Boden gleiten, legte mir die Hälfte meines Schultertuches zusammengeballt als Kissen unter den Kopf und zog mir den Rest fest um die Schultern. Ich erhaschte einen kurzen Blick seiner Silhouette vor dem Feuer, wie ein schwarzer Bär in seinem Umhang, und dann spürte ich nichts mehr.
Ich weiß nicht, wie lange ich schlief; ich erwachte ganz plötzlich, weil neben mir jemand heftig nieste. Jamie saß einen Meter von mir entfernt und hielt Josiah Beardsleys Handgelenk in der einen Hand, seinen Dolch in der anderen. Er hielt lange genug inne, um noch zweimal zu niesen, wischte sich ungeduldig die Nase an seinem Ärmel ab und stieß dann den Dolch in die Glut des Feuers.
Ich roch den Gestank des heißen Metalls und erhob mich abrupt auf einen Ellbogen. Bevor ich etwas sagen oder tun konnte, zuckte etwas an meiner Seite. Ich blickte erstaunt zu Boden, dann in die Höhe, dann wieder nach unten, so benommen, dass ich überzeugt war, immer noch zu träumen.
Unter meinem Umhang lag ein Junge an meinen Körper geschmiegt und schlief fest. Ich sah schwarze Haare und einen mageren Körper, bleiche Haut, die mit Dreck verschmiert und mit Kratzern übersät war. Dann ertönte am Feuer ein plötzliches, lautes Zischen, und ich riss meinen Blick herum und sah, wie Jamie Josiahs Daumen gegen das glühende Metall seines geschwärzten Dolches presste.
Jamie sah meine krampfhafte Bewegung aus dem Augenwinkel und blickte finster in meine Richtung, die Lippen geschürzt, um mich lautlos zum Schweigen zu bewegen. Josiah verzerrte das Gesicht und hatte vor Schmerzen die Lippen von den Zähnen zurückgezogen - aber er machte kein Geräusch. Auf der anderen Seite des Feuers saß Kenny Lindsay und beobachtete das Geschehen still wie ein Felsblock.
Immer noch überzeugt, dass ich träumte - oder in der Hoffnung, dass es so war -, legte ich eine Hand auf den Jungen, der sich an mich schmiegte. Er bewegte sich erneut, und als ich seinen soliden Körper unter meinen Fingern spürte, wurde ich vollends wach. Meine Hand umschloss seine Schulter, und er riss erschrocken die Augen auf.
Er fuhr zurück und kämpfte sich ungeschickt hoch. Dann sah er seinen Bruder - denn Josiah war eindeutig sein Bruder - und erstarrte abrupt. Sein wilder Blick fiel auf
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