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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Nacht.
    Gute Nacht, Papa. Gott segne dich.
    Er hatte es sich schon lange abgewöhnt, auf diese Weise einer kurzen Liste von Familienmitgliedern und Freunden eine gute Nacht zu wünschen, das Überbleibsel der Nachtgebete seiner Kindheit, die mit der üblichen Liste endeten: »Gott segne Oma, und Opa Guy im Himmel und meinen besten Freund Peter und Lillian, die Hündin, und die Katze des Gemüsehändlers...«
    Er hatte es schon seit Jahren nicht mehr getan, doch die Erinnerung an den Frieden dieses kleinen Rituals bewog ihn jetzt, eine neue Liste anzulegen. Besser als Schafe zu zählen, dachte er - und mehr noch als nach dem Schlaf sehnte er sich nach dem friedvollen Gefühl, an das es ihn erinnerte.
    Gute Nacht, Mrs. Graham , dachte er und lächelte vor sich hin, während er vor seinem inneren Auge kurz ein lebhaftes Bild der betagten Haushälterin des Reverends heraufbeschwor, die ihre Hand in eine Schüssel tauchte und Wasser auf ein heißes Blech spritzte, um zu sehen, ob die Tropfen tanzen würden. Gottes Segen.
    Der Reverend, Mrs. Graham, ihre Enkeltochter Fiona und Fionas Mann Ernie... seine Eltern, wenn auch nur pro forma als Kopfnicken in Richtung zweier gesichtsloser Gestalten. Claire, oben im Herrenhaus, und nach kurzem Zögern auch Jamie. Dann seine eigene, kleine Familie. Bei dem Gedanken an sie wurde ihm warm.
    Gute Nacht, Kleiner , dachte er und wandte den Kopf in Richtung der Wiege, in der Jemmy schlief. Gottes Segen. Und Brianna.
    Er drehte den Kopf zur anderen Seite, öffnete die Augen und sah das dunkle Oval ihres schlafenden Gesichtes, das ihm zugewandt war, keine dreißig Zentimeter von sich entfernt auf dem Kissen. Er drehte sich so leise wie möglich auf die Seite und beobachtete sie. Sie hatten das Feuer ausgehen lassen,
da sie früh am Morgen aufbrechen würden; es war so dunkel im Zimmer, dass er nicht mehr von ihren Gesichtszügen ausmachen konnte als die schwachen Markierungen ihrer Augenbrauen und Lippen.
    Brianna lag niemals wach. Sie drehte sich auf den Rücken, räkelte sich und machte es sich mit einem zufriedenen Seufzer bequem, holte dreimal tief Luft und war weg. Vielleicht war es Erschöpfung, vielleicht die Segnungen guter Gesundheit und eines reinen Gewissens - doch manchmal hatte er auch das Gefühl, dass sie es nicht abwarten konnte, sich in ihre private Traumwelt zu flüchten, jenen Ort, an dem sie frei am Steuer ihres Wagens durch die Gegend zog und ihr Haar im Wind flatterte.
    Was träumte sie wohl jetzt?, fragte er sich. Er konnte ihren warmen Atem schwach auf seinem Gesicht spüren.
    Letzte Nacht habe ich geträumt ich hätte mit Roger geschlafen . Die Erinnerung an diesen Eintrag ging ihm immer noch unangenehm nahe, so sehr er auch versuchte, ihn als unwichtig abzutun. Eingelullt von seiner Litanei, war er schon im Begriff gewesen, in den Schlaf zu driften, doch die Erinnerung an ihr Traumbuch weckte ihn wieder. Wehe, wenn sie jetzt so etwas träumte! Nicht nach dem, was sie beide gerade erlebt hatten.
    Er schloss die Augen wieder und konzentrierte sich auf das regelmäßige Pulsieren ihres Atems. Seine Stirn war nur Zentimeter von der ihren entfernt. Vielleicht konnte er ja das Echo ihres Traums durch ihre Schädelknochen hindurch auffangen. Doch was er spürte, war das Echo ihres Körpers und der Nachhall ihres Abschieds mit all seinen Zweifeln und Freuden.
    Sie und der Junge würden am Morgen ebenfalls abreisen; ihre Sachen waren gepackt und standen neben seinem Bündel an der Tür. Mr. Wemyss würde sie nach Hillsborough fahren, wo sie sich der hoffentlich gefahrlosen - und einträglichen - Aufgabe widmen würde, Mrs. Sherston zu porträtieren.
    »Sei bloß vorsichtig«, hatte er zum dritten Mal am selben Abend zu ihr gesagt. Hillsborough lag mitten im Territorium der Regulatoren, und er hatte beträchtliche Einwände dagegen, dass sie überhaupt dort hinfuhr. Sie hatte seine Sorgen mit einer Geste abgetan und ein verächtliches Gesicht gemacht, als er den Gedanken äußerte, dass sie oder Jemmy in Gefahr geraten könnten. Wahrscheinlich hatte sie ja Recht ─ und doch war er sich nicht allzu sicher, dass sie sich anders verhalten würde, wenn eine Gefahr bestünde. Sie war so aus dem Häuschen über ihre verflixte Auftragsarbeit, dachte er, dass sie geradewegs durch einen bewaffneten Pöbel marschieren würde, um nach Hillsborough zu gelangen.
    Sie hatte leise vor sich hingesungen - ausgerechnet »Loch Lomond«, dieses unglückliche Abschiedslied zweier

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