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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Eindringlinge unter meiner Decke fand, atmete ich tief die von Frühlingssäften erfüllte, frische Luft ein und entspannte mich genüsslich.
    Ich konnte hören, dass sich in der Nähe leise etwas regte, doch es war nur das Stampfen und Schnauben der Offizierspferde, die immer lange vor den Männern erwachten. Im Feldlager selbst war es noch still ─ oder zumindest so still, wie ein Lager mit mehreren hundert Männern irgend sein konnte. Das Zeltleinen über mir spiegelte sanftes Licht und Laubschatten wider, doch die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen. Ich schloss halb die Augen, entzückt über den Gedanken, dass ich vorerst noch nicht aufzustehen brauchte─und dass schon jemand das Frühstück gemacht haben würde, wenn ich mich in die Senkrechte begab.
    Am Abend zuvor waren wir nach einem langen, verschlungenen Weg aus dem Gebirge und über das Vorgebirge am Treffpunkt auf Oberst Bryans Plantage angelangt. Wir waren zeitig; Tryon und seine Truppen waren noch nicht aus New Bern eingetroffen, genauso wenig wie die Abteilungen aus Craven und Carteret County, die die Feldgeschütze und die Drehbassen dabei hatten. Man rechnete damit, dass Tryons Truppen im Lauf des Tages eintreffen würden; so hatte es uns Oberst Bryan zumindest am Abend zuvor beim Essen erzählt.
    Ein Grashüpfer landete mit einem hörbaren Plop über mir auf dem Leinen. Ich beobachtete ihn genau, aber er machte zum Glück keine Anstalten, ins Zelt zu kommen. Vielleicht hätte ich ja Mrs. Bryans Angebot annehmen sollen, die mir und ein paar anderen Offiziersfrauen, die ihre Männer begleitet hatten, ein Bett im Haus zur Verfügung stellen wollte. Doch Jamie hatte darauf bestanden, draußen bei seinen Männern zu schlafen, und ich hatte ihn begleitet, weil ich mir lieber mit Jamie ein Bett mit den Käfern teilen wollte als keines von beidem an meiner Seite zu haben.
    Ich lugte zur Seite, achtsam, Jamie nicht zu stören, falls er noch schlief. Er war wach. Allerdings lag er völlig reglos da, ganz und gar entspannt, bis auf seine rechte Hand. Die hatte er erhoben und schien sie genau zu betrachten,
wobei er sie hin und her drehte und seine Finger langsam bog und wieder gerade richtete - so gut er konnte. Der Ringfinger hatte ein verwachsenes Gelenk und war steif; der Mittelfinger war ein wenig verdreht, und eine tiefe, weiße Narbe wand sich um sein mittleres Gelenk.
    Seine Hand war schwielig und mitgenommen von der Arbeit, und in der Mitte der Handfläche sah man das winzige, blassrosafarbene Stigma einer Nagelwunde. Die Haut seiner Hand war dunkel gebräunt und verwittert, mit Sonnenflecken übersät und mit gebleichten, goldenen Härchen überzogen. Ich fand ihre Schönheit bemerkenswert.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte ich leise. »Bestandsaufnahme?«
    Er ließ die Hand auf seine Brust sinken und drehte mir lächelnd das Gesicht zu.
    »Aye, etwas in der Art. Obwohl mir noch ein paar Stunden bleiben. Ich bin um halb sechs geboren; mein halbes Jahrhundert ist erst voll, wenn es Abendessen gibt.«
    Ich drehte mich lachend auf die Seite und befreite mich von der Decke. Noch war die Luft wunderbar kühl, doch das würde nicht mehr lange anhalten.
    »Rechnest du denn damit, dich bis zum Abendessen in deine Bestandteile aufzulösen?«, fragte ich neckend.
    »Oh, ich gehe nicht davon aus, dass mir bis dahin etwas abfällt«, sagte er nachdenklich. »Aber was meine Funktionsfähigkeit angeht... aye, nun...« Er bog den Rücken durch, reckte sich und sank mit einem zufriedenen Stöhnen wieder zurück, als sich meine Hand auf ihm niederließ.
    »Scheint alles wunderbar zu funktionieren«, versicherte ich ihm unter vorsichtigem Zupfen, woraufhin er leise aufjaulte. »Nichts ist lose.«
    »Gut«, sagte er und umschloss meine Hand fest mit der seinen, um weitere, unautorisierte Experimente zu verhindern. »Woher hast du gewusst, was ich mache? Das mit der Bestandsaufnahme, wie du es ausdrückst?«
    Ich überließ ihm meine Hand, rückte jedoch näher an ihn heran und legte mein Kinn in die Mitte seiner Brust, wo eine kleine Mulde just dafür gemacht zu sein schien.
    »Das mache ich immer, wenn ich Geburtstag habe - obwohl ich es normalerweise am Vorabend tue. Mehr als Rückblick, glaube ich, und als Reflektion über das vergangene Jahr. Aber ich betrachte mich auch prüfend. Ich glaube, das macht wohl jeder. Nur um zu sehen, ob man noch dieselbe Person ist wie tags zuvor.«
    »Da bin ich mir einigermaßen sicher«, versicherte er mir.

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