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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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»Dir sind doch keine drastischen Veränderungen aufgefallen, oder?«
    Ich hob mein Kinn von seinem Rastplatz und betrachtete ihn sorgfältig. Es fiel mir wirklich schwer, ihn objektiv zu betrachten; ich war so sehr an seine Gesichtszüge gewöhnt und hing so sehr an ihnen, dass ich oft kleine,
liebenswerte Dinge an ihm wahrnahm - die Sommersprosse auf seinem Ohrläppchen, den unteren Schneidezahn, der sich vordrängte und nicht ganz in einer Reihe mit seinen Kollegen stand - und auf die leiseste Veränderung seines Gesichtsausdrucks reagierte, ihn aber eigentlich nicht als integriertes Ganzes betrachtete.
    Er ließ meine Untersuchung in aller Ruhe über sich ergehen und hielt die Augenlider zum Schutz gegen das zunehmende Licht halb gesenkt. Sein Haar hatte sich gelöst, während er schlief, und sich auf seinen Schultern verteilt, so dass die rötlichen Wellen ein Gesicht einrahmten, das deutlich von Humor und Leidenschaft geprägt war - jedoch gleichzeitig eine paradoxe und bemerkenswerte Fähigkeit zur Reglosigkeit besaß.
    »Nein«, sagte ich schließlich und stützte mein Kinn mit einem zufriedenen Seufzer wieder ab. »Du bist noch der Alte.«
    Er grunzte belustigt auf, blieb aber still liegen. Ich konnte hören, wie einer der Männer in der Nähe herumstakste und fluchte, als er über eine Wagendeichsel stolperte. Das Lager war noch im Aufbau begriffen; einige der Kompanien - diejenigen, unter deren Männern und Offizieren sich ein großer Prozentsatz an ehemaligen Soldaten befand - waren ordentlich und gut organisiert. Viele andere waren es nicht, und ihre wackeligen Zelte und ihre Ausrüstung lagen als pseudomilitärisches Durcheinander überall auf der Wiese verstreut.
    Eine Trommel begann zu schlagen, ohne jedoch eine Wirkung zu zeigen. Die Armee setzte ihren Schlummer fort.
    »Meinst du, dass der Gouverneur mit diesen Truppen etwas ausrichten kann?«, fragte ich skeptisch.
    Der anwesende Armeevertreter schien ebenfalls wieder eingeschlafen zu sein. Doch auf meine Frage hin reagierte er, indem er seine langen, auberginenfarbigen Wimpern träge hob.
    »Oh, aye. Tryon ist Soldat. Er weiß genau, was er tun muss - zumindest für den Anfang. Es ist nicht besonders schwer, Männer dazu zu bringen, in Reih und Glied zu marschieren und Latrinen zu buddeln. Sie zum Kämpfen zu bewegen, ist etwas anderes.«
    »Kann er das?«
    Die Brust unter meinem Kinn hob sich tief seufzend.
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Frage ist - wird es nötig sein?«
    Das war in der Tat die Frage. Während der ganzen Anreise aus Fraser’s Ridge hatten uns die Gerüchte umwirbelt wie Herbstlaub bei Sturm. Die Regulatoren hatten zehntausend Männer, die als Armee auf New Bern zumarschierten. General Gage war mit einem Regiment offizieller Truppen zu Schiff aus New York unterwegs, um in der Kolonie für Ruhe zu sorgen. Die Miliz von Orange County hatte gemeutert und ihre Offiziere umgebracht. Die Hälfte der Männer aus Wake County waren desertiert. Hermon Husband war festgenommen und auf ein Schiff verschleppt worden, um in London
wegen Hochverrats vor Gericht gestellt zu werden. Hillsborough war in die Hände der Regulatoren gefallen, die vorhatten, die Stadt in Brand zu setzen und Edward Fanning und alle, die mit ihm zu tun hatten, hinzurichten. Ich hoffte sehr, dass Letzteres nicht stimmte - oder falls es so war, dass Hubert Sherston nicht zu Fannings engeren Vertrauten gehörte.
    Wenn man diese Masse aufgeschnappter Dinge, Vermutungen und schierer Erfindung aussortierte, schien nur eine Tatsache übrig zu bleiben, dass nämlich Gouverneur Tryon unterwegs war, um sich an die Spitze der Miliz zu setzen. Und danach, so vermutete ich, würden wir einfach weitersehen müssen.
    Jamies freie Hand ruhte auf meinem Rücken, und sein Daumen streichelte die Kante meines Schulterblattes. Mit seiner üblichen Fähigkeit zur geistigen Disziplin schien er die Ungewissheit der militärischen Aussichten vollständig verdrängt zu haben und dachte jetzt über etwas ganz anderes nach.
    »Denkst du jemals -«, begann er und brach dann ab.
    »Denke ich was?« Ich senkte den Kopf und küsste seine Brust. Ich räkelte mich, um Jamie aufzufordern, mir den Rücken zu massieren, was er auch tat.
    »Nun ja... ich weiß nicht, ob ich es erklären kann, aber mir ist gerade der Gedanke gekommen, dass ich jetzt schon länger lebe als mein Vater - und ich hatte nicht damit gerechnet, dass es dazu kommen würde«, fügte er mit einem Hauch von Ironie hinzu.

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