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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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ging über die heftig wackelnde und quietschende Brücke an Bord der 21 Uhr 30 Fähre.
    Nicht dass er sich unwohl fühlte, das Gegenteil war der Fall, er spürte diese angenehme, grundlose Freude, die Alkohol hervorzuzaubern vermochte. Aber er kannte diese Stimmung zu gut, um ihr zu trauen, er wusste, wie schnell sie bei ihm in ebenso grundlose Schwermut umschlagen konnte. Er musste sich jetzt konzentrieren. Er wollte über das Gespräch mit den Owens und die Einladung Tangs nachdenken, dafür brauchte er einen klaren Kopf und kein künstlich stimuliertes oder bedrücktes Gemüt. Woher hatte Tang nur immer seine Informationen? Er musste einen verdammt guten Kontakt zur Polizeiführung haben.
    Die Fähre setzte sich mit einem dreimaligen dumpfen Tuten rückwärts in Bewegung. Nach einer schwerfälligen Wendung nahm sie langsam Fahrt auf in die Nacht, und Paul hörte genau, in welchem Moment der Kapitän die alte Maschine auf ›volle Kraft voraus‹ stellte. Er genoss die Vertrautheit dieses Augenblicks und dachte an Christine. An die Flasche Champagner im Kühlschrank. An die Blumen in der Küche. Er wollte zu ihr, am liebsten sofort, aber das ging nicht, David wartete in Yung Shue Wan auf ihn. Morgen, auf dem Weg zu den Owens, würde er sie im Büro besuchen. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie berühren, seinen Kopf an ihren Hals legen, und sei es nur für ein paar Sekunden.
    Der grün-weiße Pier in Yung Shue Wan strahlte hell erleuchtet in der Dunkelheit und war fast menschenleer. Nur wenige wollten zu so später Stunde noch die Fähre zurück nach Hongkong nehmen. David lehnte am Geländer, es sah aus, als habe er die Augen geschlossen, und Paul erschrak ein wenig, als er ihn sah. Er wirkte müde und erschöpft und noch kleiner als sonst, seine Schultern hingen kraftlos herab, seinen Kopf hatte er leicht eingezogen wie in Erwartung eines Unheils. Paul hatte das Gefühl, sein Freund sei in den vergangenen Tagen sichtbar gealtert.
    Die Freude und Erleichterung in den Augen seines Freundes, als der ihn entdeckte, vertrieben Pauls Gedanken.
    Sie gingen den Anleger hinunter, am Man Lai Wah Hotel, dem Postamt und der Island Bar vorbei zum Sampan. In den vergangenen Jahren hatten sie sämtliche chinesische Restaurants im Dorf ausprobiert und dieses einvernehmlich zu ihrem bevorzugten Lokal erklärt. Auf der Terrasse am Hafen waren nur wenige Tische besetzt. Der Kellner begrüßte sie mit einem knappen Nicken und führte sie an einen Platz direkt am Wasser. Paul bestellte gebratene Nudeln, eine süßsaure Suppe, etwas Pok Choy Gemüse, Huhn mit Cashewnüssen und Pfefferschoten und erzählte von den vergangenen Stunden.
    David hörte schweigend zu.
    »Ich habe auf der Fähre lange über das Gespräch nachgedacht«, sagte Paul zum Schluss, »und es gibt vieles, was ich nicht verstehe. Warum wollte Richard Owen meine Fragen nicht beantworten? Warum war Elizabeth ihm gegenüber so voller Wut, ja fast Hass? Weshalb nimmt sie die Einladung Tangs, ohne zu zögern und offenbar sehr erfreut, an, wenn sie ihn eigentlich nicht mag? Und vor allem: Was führt Tang im Schilde? Warum bittet er mich dazu?«
    »Ich vermute, er hat von unseren Nachforschungen erfahren und will herausfinden, was wir wissen«, sagte David.
    »Aber von wem?«
    David überlegte. »Mir fällt nur Anyi ein«, sagte er schließlich. »Sie kennen sich, und wer weiß, wie eng ihr Verhältnis ist?«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie hatte Angst vor ihm. Du hast ihr Gesicht nicht gesehen, als sie von ihm sprach.«
    »Wenn Tang etwas mit dem Mord zu tun hat und Anyi etwas weiß, ist der sicherste Platz für sie in seiner Nähe.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Es würde ihm zeigen, dass sie die Seite gewechselt hat, dass er ihr vertrauen kann. Ein Zeichen ihrer Ergebenheit. Wie ein Tier, das sich auf den Rücken wirft, wenn es merkt, dass es einen Kampf verliert. Es hofft, der Gegner möge Erbarmen haben.«
    Paul schüttelte entschieden den Kopf. »Den Eindruck machte sie nicht. Sie ist nicht der Typ, der sich ergibt. Ich glaube eher, dass sie sich irgendwo versteckt.«
    »Verstecken? Vor Tang? Unmöglich. Früher oder später würde er sie finden und dann als Feindin behandeln, und das...« David beendete den Satz nicht.
    »Und das?«
    »Würde sie nicht überleben.«
    »Wie meinst du das?«
    David schaute ihn schräg von der Seite an, als wolle er prüfen, ob Paul seine Frage ernst meinte. »Sie würde verschwinden. Spurlos, und niemand würde je

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