Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
Vom Netzwerk:
nur inoffiziell, aber die bessern mit ihren Geschäften ihren Haushalt auf. Genau wie die Armee.«
    »Glaubst du, Victor Tang hat von Lotus Metal gewusst?«
    »Davon gehe ich aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Michael Owen so etwas vor ihm hätte geheim halten können. Das würde auch den Streit zwischen Tang und ihm erklären.«
    »Aber warum sollte Michael Owen eine zweite Firma gründen, die auch noch mit dem anderen Gemeinschaftsunternehmen konkurriert? Ohne Tang? Nach allem, was wir wissen, ist Cathay Heavy Metal eine Goldgrube.«
    »Vielleicht, vielleicht stimmen die Zahlen aber auch nicht. Möglicherweise hat Tang ihn hintergangen, oder Michael glaubte zumindest, betrogen zu werden. Oder Lotus Metal hat ihm einfach ein besseres Angebot gemacht. Du weißt, wie wenig Verträge bei uns zählen. Das werden wir herausfinden müssen, und zwar schnell. Wenn Michael Owen den Partner wechseln wollte, haben wir ein mögliches Motiv für den Mord.«
    Paul strich sich die weißen Haare aus dem Gesicht, sie waren so lang geworden, dass er sie am Hinterkopf fast zu einem kurzen Zopf zusammenbinden konnte. Was David da sagte, klang auf eine seltsame, fast unheimliche Weise vertraut. Paul gingen die Reisen durch den Kopf, auf denen er in den vergangenen drei Jahrzehnten fast alle chinesischen Provinzen besucht hatte. Hubei. Shandong. Fujian. Gansu. Liaoning. Egal um welchen Landesteil es sich handelte, seine Erfahrungen waren oft ähnlich gewesen. Er dachte an die europäischen und amerikanischen Firmen, die er bei ihren Investitionen beraten, deren Verhandlungen er beigewohnt und übersetzt, in einigen, wenigen Fällen sogar geführt hatte. Da saßen dann amerikanische Manager ihren chinesischen Partnern gegenüber, und beide konnten noch nicht einmal die Namen der anderen fehlerfrei aussprechen. Er hatte sich immer gewundert, wie Menschen, die so wenig voneinander wussten, miteinander Geschäfte machen wollten. Die einen sahen einen schier unerschöpflich großen Markt für ihre Produkte, die anderen glaubten eine Art Goldesel mit Anzug und Krawatte entdeckt zu haben, eine nicht versiegende Geldquelle für ihre Unternehmen. Illusionen, die wie Seifenblasen platzten und denen dann rasch Vertragsbrüche folgten, veruntreutes Geld und der vollständige Verlust von Achtung und Vertrauen. Was David sich da gerade ausgemalt hatte, war mehr als plausibel, ein realistisches Szenario, Paul hatte nur noch nie gehört, dass der Streit zwischen chinesischen und ausländischen Partnern mit einem Mord endete. Aber warum nicht?
    »Uns bleibt nicht viel Zeit«, sagte David. »Der Prozess gegen den angeblichen Mörder beginnt in zwei Tagen. Du musst versuchen, von Tang und Richard Owen etwas zu erfahren, und darfst dabei nur so wenig wie möglich von dem preisgeben, was wir herausgefunden haben. Tang soll nicht wissen, dass ich involviert bin oder dass wir mit der Frau des Inhaftierten gesprochen haben. Sie ist das Alibi und wäre mit Sicherheit in Gefahr. Tang würde nicht lange brauchen, um herauszubekommen, wo sie steckt.«
    Paul erinnerte sich, wie sorglos er den Owens davon berichtet hatte, und hoffte, dass sie es für sich behalten würden.
    »Er hat dich eingeladen«, fuhr David fort, »also will er etwas von dir. Er wird versuchen dich auszuhorchen. Du musst abwarten, Geduld haben, und irgendwann wirst du an der Reihe sein, Fragen zu stellen.«
    »Herr Tang, ich soll Sie übrigens ganz herzlich von Ihrem alten Freund Wang Ming grüßen.«
    »So in etwa. Aber ich bin mir sicher, du bekommst es noch etwas eleganter hin.«
    Endlich lächelte sein Freund wieder - ein gutes Zeichen.
    »Soll ich nach dem Abendessen nach Lamma zurückkommen, oder wollen wir uns irgendwo in Shenzhen treffen?«, fragte Paul.
    »Lamma ist sicherer.«
    »Wir sind für 19 Uhr eingeladen, die letzte Fähre geht um 0 Uhr 30, die sollte ich kriegen.«
    Paul beobachtete, wie sich eine grau-grüne Rattenschlange am anderen Ende des Gartens durch das Laub schlängelte. Sie war lang und dick und harmlos. »Hast du Angst vor Schlangen?«
    »Nein«, antwortete David, der das Tier ebenfalls bemerkt hatte, und setzte sich auf einen der Terrassenstühle, als wolle er seiner Behauptung Nachdruck verleihen.
    Paul stand auf, holte ihm eine Tasse und schenkte Tee ein.
    Kurz darauf rief Christine an und fragte Paul, ob er etwas früher kommen konnte, sie hatte keine Aushilfe bekommen und nur zwischen eins und zwei Zeit. Paul schaute auf die Uhr. Wenn er sich beeilte,

Weitere Kostenlose Bücher