Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
von MacBeth sind wir zechen gegangen und haben das eine oder andere Haus besucht, das … naja … keinen guten Ruf genießt. Anschließend haben wir über das aktuelle Stück diskutiert.«
»Ihr habt Euch mit ihm gestritten.«
»Das will ich nicht leugnen.«
»Ging es um das Stück?«
»Eher darum, dass er für die Rolle nicht geeignet ist. Er hat sie falsch interpretiert. Von rechts wegen hätte ich sie von vornherein bekommen sollen. Dann besaß er auch noch die Frechheit, meine Darstellung des Dauphins zu kritisieren. Er soll verflucht sein! Verfaulen soll er im Schuldturm! Das hat er verdient, so wie er mit seinem vornehmen Getue die Wirtstochter an der Nase herumgeführt hat! Sie ist nichts weiter als ein naives Mädchen vom Land, und sie ist auf ihn hereingefallen. Unschuldige ins Verderben zu stürzen ist kein Kavaliersdelikt.«
Drew zog eine Augenbraue hoch. »Ins Verderben? Inwiefern?«
»Er gab sich als vermögender englischer Gentleman aus, schenkte der armen kleinen Penhallow Strassschmuck und versprach ihr die Ehe. Der Mann ist ein Betrüger, ein Parvenü.«
Der Konstabler schien zu sinnieren. »Ihr sagt, er habe dem Mädchen die Heirat angetragen?«
»Jawohl, und versprochen, sie zu einer reichen, vornehmen Dame zu machen.«
»Und ihr Strassschmuck geschenkt.«
»Sie konnte ihn halt nicht von echten Juwelen unterscheiden. Ich glaube, sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Herrin auf seinem vermeintlichen Schloss zu werden. Dabei verspielt Keehan den Hungerlohn, den Burbage uns zahlt, und geht zudem so häufig ins Bordell, dass er sich vermutlich schon längst die Syphilis eingefangen hat. Sein Schicksal wird schneller besiegelt sein, als er glaubt. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so selbstverliebt war wie Keehan. Als ich es ihm vorwarf, war er so dreist, mir mit einem Zitat aus unserem Stück, ›König Heinrich V.‹ zu antworten!«
Der junge Man warf sich in Pose und deklamierte: »›Selbstliebe, Herr, ist nicht so schnöde Sünde als Selbstversäumnis.‹ Selbstversäumnis aber kann man Keehan weiß Gott nicht nachsagen!«
»Das alles klingt wirklich nicht besonders sympathisch«, bemerkte Drew.
»Der Vater der kleinen Penhallow ist bestimmt derselben Meinung. Er war völlig sprachlos, als er gestern Abend Keehan auf der Bühne sah und in ihm seinen hochwohlgeborenen Mieter erkannte!«
Dem Konstabler gelang es nicht, seine Verwunderung zu verbergen. »Was?«, rief er. »Wollt Ihr etwa sagen, Penhallow wusste, dass Keehan Schauspieler war und unter falschem Namen im ›Red Boar Inn‹ logierte?«
»Seit gestern Abend wusste er es. Er hatte eine Eintrittskarte für einen Penny gekauft und stand in der Menge vor der Bühne. Keehan hat ihn nicht gesehen, aber ich habe sogar mit ihm geredet. Als ich die Bühne verließ, sprach er mich an, um sich zu vergewissern, dass ihn seine Augen nicht getäuscht hatten. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu versichern, dass er richtig gesehen hätte. Er ist wutentbrannt davongestürzt. Als ich ihn später im ›Red Boar‹ sah, hatte sich seine Laune noch nicht gebessert.«
»Im ›Red Boar‹? Um welche Uhrzeit war das?«, fragte Hardy Drew.
Cavendish überlegte kurz. »Ich muss zugeben, ich hatte so viel billigen Wein getrunken, dass ich mich nicht mehr erinnere. Jedenfalls war es spätabends, oder eher früh am Morgen. Als ich ging, kam er nach Hause.«
Der ältere Mann mit den weißen Haaren eilte herbei und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Mein Herr, könnt Ihr nicht endlich aufhören mit der Fragerei? Wir müssen unser Stück proben und …«
Drew unterbrach ihn mit einer beschwichtigenden Geste. »Schon gut, mein Herr«, sagte er. »Ich will Euch nicht mehr lange stören. Ich muss Euch allerdings mitteilen, dass Ihr die Rolle König Heinrichs neu besetzen müsst. Keehan wird sie nicht mehr spielen können.«
»Dieser Narr!«, stieß der Regisseur hervor. »Was für eine Dummheit hat er denn jetzt schon wieder angestellt?«
Konstabler Drew verzog die Lippen zu einem grimmigen Lächeln. »Eine nicht wiedergutzumachende Dummheit, Herr. Er hat sich ermorden lassen.«
Als er ins »Red Boar Inn« zurückkehrte, putzte der Wirt gerade seine Zinnkrüge. Er wirkte trübsinnig. Sobald er dem säuerlichen Blick des Konstablers begegnete, schreckte er merklich zusammen.
»Ihr habt mich belogen«, sagte Drew unvermittelt. »Ihr wusstet ganz genau, dass Will Keeling sich nur als Gentleman ausgab und keinerlei Vermögen besaß. Euch
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