Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
sachlichen Ton, aber ihr Gesicht war so blass, dass Meister Drew wusste, welche Selbstbeherrschung es sie kostete, ruhig zu bleiben. »Und dann hat er gelacht! Er hat mich ausgelacht! Ein kornisches Bauerntrampel hat er mich genannt. Ich könnte mich geehrt fühlen, sagte er, dass er sich überhaupt mit mir eingelassen habe. Es gäbe keinen Schmuck, kein Schloss, keine Verlobung. Als er nicht aufhörte zu lachen, habe ich …«
»Konstabler, ich bitte Euch! Sie weiß nicht, was sie da redet!«, rief Penhallow flehentlich.
»In diesem Augenblick seid Ihr hinzugekommen«, sagte Drew. »Ich habe mich schon gefragt, warum Ihr so lange gezögert habt, den Medikus zu rufen. Vermutlich habt Ihr gehofft, dass Keehan vor Tagesanbruch stirbt. Als das nicht geschah, packte Euch das schlechte Gewissen, und Ihr habt doch noch nach ihm geschickt. Eure größte Sorge war, dass Keeling den Namen des Täters nennt, bevor er verstirbt.«
»Ich habe mich schuldig bekannt, Konstabler Drew«, erwiderte Penhallow. »Sucht Euch aus, welche Version Euch am meisten zusagt. Mir ist es einerlei. Ich gebe alles zu.«
»Ihr seid ein schlechter Lügner, Penhallow. In diesem neuen Stück, das von Keehan und seinen Kollegen aufgeführt wurde, sagt eine der Figuren: ›dass Männer von wenigen Worten die besten sind‹. Zu viele Worte lassen einen zwischen den Zeilen lesen. Durch Eure Lüge habt Ihr mir den Weg zur Wahrheit gewiesen. Besser, Ihr hättet geschwiegen.«
»Ich übernehme die Verantwortung, Herr. Sie ist erst siebzehn und hat ihr Leben noch vor sich. Bitte … ich war es …«
»Genug gesprochen, guter Mann!«, sagte der Konstabler streng. »Ihr redet Euch und Eure Familie noch um Kopf und Kragen! Die Untersuchung ist hiermit abgeschlossen.« Er griff in die Tasche und holte einen Geldbeutel hervor.
»Ich habe ihn in Keehans Kammer gefunden. Der Medikus hat bereits das fällige Honorar entnommen. Es ist noch genug drin, um die Beerdigung zu bezahlen. Vielleicht bleiben sogar ein paar Pennys übrig, wenn auch nicht genug, um Keehans Schulden zu begleichen. Aber ich denke, sie wurden bereits auf andere Weise getilgt.«
Pentecost Penhallow und seine Tochter blickten ihn fassungslos an.
Drew zögerte. Er wollte nicht zuviel sagen, sah sich aber doch gezwungen, ein paar klärende Worte zu sprechen. »Gesetz und Gerechtigkeit sind nicht immer ein und dasselbe. Von Aristoteles habt Ihr vermutlich noch nie gehört. Er war es aber, der sinngemäß äußerte, dass das Gesetz keine Leidenschaft kennt, der Mensch jedoch auch seinem Herzen folgen muss. Sich rigoros an das Gesetz zu halten, bedeutet oftmals, rigorose Ungerechtigkeit zuzulassen.«
»Aber was ist mit …?«
»Ein mittelloser Schauspieler ist durch die Hand eines oder mehrerer unbekannter Täter zu Tode gekommen. Möglicherweise ist der Mörder durchs Fenster geklettert, um ihn auszurauben. Solche Vorfälle gibt es zuhauf in dieser verkommenen Stadt. Hunderte Menschen sterben durch Gewalt, weitere Hunderte durch Krankheit. Das Rechtswesen beschützt die Reichen, die Oberschicht. Wie es scheint, zählt Keehan nicht zu diesen. Anderenfalls wäre ich gezwungen gewesen, die Untersuchung mit mehr Nachdruck zu Ende zu führen.«
Im Begriff zu gehen, schien er zu zögern und drehte sich noch einmal um. »Herr Penhallow«, sagte er, »ich weiß nicht, wie die Lage zur Zeit in Eurer Heimat Cornwall ist, aber ich rate Euch, wenn irgend möglich, dorthin zurückzukehren. Dort ist Eure Familie vermutlich besser aufgehoben als in diesem Sündenpfuhl, den wir am übelriechenden Flussufer geschaffen haben. Ich glaube nicht, dass Ihr hier jemals zu Glück und Wohlstand kommen werdet.«
Mit Tränen in den Augen kam das junge Mädchen auf ihn zu und berührte seinen Arm.
» Dursona dhys
!«, rief sie und küsste ihn auf die Wange.
» Durdala-dywy!
Gott segne Euch, lieber Konstabler! Ich danke Euch!«
Nachdem er das »Red Boar Inn« verlassen hatte, blieb Drew einen Moment stehen und schmunzelte versonnen vor sich hin. Dann ging er die kurze Strecke bis zur Themse. Der Gestank war überwältigend. Es roch nach Fischinnereien, Abwasser, Unrat. Da er fast sein ganzes Leben in London verbracht hatte, hätte er den Geruch eigentlich gewohnt sein müssen, aber in diesem Augenblick erlebte er ihn als schier unerträgliche Zumutung.
Und doch bekam London jedes Jahr Tausende neue Einwohner; die Stadt wuchs mit rasanter Geschwindigkeit. Eine harte, brutale Stadt, die Täter und Opfer zugleich anzog,
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