Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
Mann unterbrochen, der wütend mit dem Fuß aufstampfte und mit den Textblättern in seiner Hand gestikulierte.
»Gott im Himmel! Bald bin ich am Ende meiner Geduld, Cavendish! ›Wird
Crispin
Crispian vorübergehn‹ heißt es! Wollt Ihr Shakespeares Text umschreiben, oder ist Euch Euer Erfolg als Macduff zu Kopf gestiegen? Lasst es Euch von mir gesagt sein: Ein Schauspieler ist immer nur so gut wie seine jüngste Vorstellung. ›MacBeth‹ wurde gestern Abend zum letzten Mal gegeben – ab heute spielt Ihr in ›König Heinrich V.‹ den Dauphin. Warum ich Euch also helfen soll, die Zweitbesetzung für den Heinrich einzuüben, ist mir sowieso ein Rätsel!«
Der junge blonde Mann wartete, bis sich der Sturm gelegt hatte. Dann setzte er erneut an:
»Wird Crispin Crispian vorübergehn,
Dass man nicht uns dabei erwähnen sollte,
Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder …«
Er verstummte, als er Konstabler Drew bemerkte, der mit verschränkten Armen seinem Vortrag lauschte.
Der Mann mit dem schmalen Gesicht fuhr herum und herrschte Drew an: »Und wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, meine Schauspieler aus dem Takt zu bringen? Merkt Ihr nicht, dass wir mitten in einer Probe sind?«
Der Konstabler lächelte freundlich. »Ich hätte gern kurz mit Hal Cavendish gesprochen.«
»Verflixt und zugenäht!«, brüllte der Regisseur und schien im Begriff, eine Schimpftirade von sich zu geben, als ihn Jasper beiseite nahm und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Nun gut, meinetwegen«, sagte er dann unwillig. »Aber höchstens zehn Minuten. Tut, was Ihr tun müßt, Herr, und zieht in Frieden von dannen. Wir haben heute Abend noch eine Vorstellung.«
Der junge Mann funkelte Drew feindselig an. »Kennen wir uns?«, fragte er hochnäsig.
»Ihr werdet mich noch kennenlernen, mein Guter«, entgegnete Drew jovial. »Ich bin nämlich Konstabler der Bankside-Wache.«
Diese Aussage schien auf den Schauspieler wenig Eindruck zu machen, jedenfalls verzog er keine Miene. »Und was wollt Ihr von mir?«, wollte er wissen.
»Man sagte mir, Ihr wärt mit Whelton Keehan befreundet.«
Cavendish verzog angewidert das Gesicht. »Befreundet? Wohl kaum!«, antwortete er. »Ich teile mit ihm unfreiwillig diese Bretter, mehr nicht. Wir sind nur flüchtig bekannt. Falls er etwas ausgefressen hat und auf Kaution freigelassen werden soll, wendet Euch an Cuthbert Burbage, der die Geschäfte dieses Theaters führt. Vielleicht hat er gerade die Spendierhosen an. Von mir jedenfalls bekommt Ihr keinen Penny für diesen Kerl.«
»Ich fürchte, mit Geld kann ihm niemand mehr helfen«, entgegnete Drew mit einem bitteren Lächeln. Ohne zu erläutern, was er damit meinte, setzte er die Befragung fort: »Soweit ich informiert bin, habt Ihr ihn gestern Abend in seine Unterkunft begleitet?«
Hal Cavendish wehrte verächtlich ab. »Wenn Ihr es schon wisst, braucht Ihr mich nicht mehr zu fragen.«
»Ich glaube, ich muss mich deutlicher ausdrücken!« Drews Stimme hob sich – die Arroganz seines Gegenübers brachte ihn zur Weißglut. »Wenn Ihr mir nicht wahrheitsgemäß Rede und Antwort steht, kann das für Euch üble Folgen haben. Warum logierte er im ›Red Boar Inn‹ unter dem Namen ›Will Keeling‹?«
»Das ist kein Verbrechen. Er war erst vor wenigen Monaten aus Dublin zugezogen und hielt es für besser, sich dem Wirt gegenüber als englischer Gentleman auszugeben. Dabei nannte der arme Schlucker kaum zwei Pennys sein eigen. Er war aber ein guter Schauspieler, das muss man ihm lassen. Er hat aus der Theatergarderobe Schmuck und Kostüme ausgeborgt, um sein Auftreten als englischer Gentleman zu unterstreichen. So hat er den schlitzohrigen Wirt dazu gebracht, ihm Kredit zu geben. Sagt, ist seine Tarnung aufgeflogen? Seid Ihr gekommen, um ihn zu holen und in den Schuldturm zu sperren?« Cavendish lachte gutgelaunt vor sich hin.
Konstabler Drew wartete, bis sich seine Heiterkeit gelegt hatte, ehe er fragte: »Warum stimmt euch diese Vorstellung so fröhlich, Cavendish?«
»Nun, wenn es so ist, kann ich in unserem Stück die Rolle Heinrich V. übernehmen. Keehan war sowieso nicht der Richtige dafür, wirklich nicht. Ein Ire als englischer König – um Gottes willen! Darüber haben wir uns gestern Abend übrigens gestritten.«
»Wie ging es Will Keenan, als Ihr Euch von ihm getrennt habt? In welcher Verfassung war er?«
»Ehrlich gesagt, verließ ich ihn erst am frühen Morgen, und er war ziemlich schlecht gelaunt. Nach der letzten Vorstellung
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