Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
offenbarte – Überraschung in seinem leichenblassen Gesicht vermochte ich nicht zu erkennen, doch ein leichtes Heben der Augenbrauen, das augenblicklich wieder wich, blieb als Antwort, dass er mir gelauscht hatte.
„Ich habe es auf Band“, fuhr ich fort, „ich musste es dorthin verbannen, damit wir beide womöglich diesem Rätsel auf die Schliche kommen und es mit plausiblem Wissen entzaubern vermögen. Magst du es hören?“
Tief aus seinem Inneren, des nächtlichen Flüsterns gleich, drang ein „Ja“ hervor, doch der Blick meines Freundes blieb in Leere verhaftet. Wusste er, was folgen sollte? Ich drückte die Taste zur Wiedergabe und nach kurzem Rauschen flüsterte es, seine Stimme, von Sonne und Splitter und Tod. Einem gar grauenhaften Gedichte gleich, rezitiert durch des Dämons Organ, beschwor die Aufnahme eine nächste Veränderung im Gesicht meines Freundes. Über seine Augen legte sich eine irre Heiterkeit, den Mund zum Grinsen verzogen, und indem er plötzlich aufsprang, offenbarte er eine Hysterie, die er zuvor noch mühsam versteckt hatte. Ich erhob mich ebenfalls und packte Dennis an den Schultern, während er sich an den Haaren zog, vereinzelt schon Büschel herausgerissen, die er nun mit den Fingern umkrallte.
„Beruhige dich, Dennis, um Gottes Willen!“
Da hielt er inne und blickte mir, dem Wahnsinn nun ausgeliefert, in meine Augen, bis zum Grunde meiner Seele, dorthin, wo dies Warenhaus und seine verwahrloste Unheimlichkeit mich getroffen hatten, wo jede meiner ersten Empfindungen über diesen Ort einer Intuition gleich bestätigt wurde. Auf solch kurze Distanz fuhr mir sein Schreien in die Gebeine, dass ich zitterte und mich mehr an seinen Schultern zum Schutze hielt als dass ich ihn packte.
„Ich war es nicht! Das ist nicht meine Stimme! Nie war sie es! Sie belügen dich! Ich war es nicht!“
Das Unumkehrbare meines Fehlers bemerkend brachte ich Dennis mit Ohrfeigen zum Schweigen. Ich hatte durch mein Handeln nur dem Ausgang gegeben, das schon immerdar in meinem Freund gelauert hatte, und er hätte noch länger geschrien, wenn meine Schläge nicht gewesen wären. So sank er in sich zusammen und stürzte zu Boden. Sein Körper war in der Tat abgemagert, dass es ein Leichtes war, ihn in sein Bett zu hieven – mir grauste es, wie aufdringlich seine Knochen unter der Kleidung zu spüren waren – als würde ich ein Skelett tragen. Liegend nun blieben seine Augen zwar geöffnet, aber ihre Starre war zu einem leeren, ausgehöhlten Blick verkommen. Dennis atmete schwach und der Eindruck, eine Leiche angehoben zu haben, verflüchtigte sich. In meinen Schrecken mischte sich tiefes Mitleid und ein Gefühl der Schuld – wie, so fragte ich mich, sollte ich dies Vergehen, leichtherzig ihm sein eigenes Flüstern vorzuspielen, wieder gutmachen? Wie war ihm denn zu helfen? Ein Schock nach der Konfrontation war nicht selten das Resultat einer Therapie, auf dem noch folgenden, langen Weg zu einer Rehabilitation, doch Dennis' Reaktion lag jenseits einer möglichen Diagnose. Mir blieb, so kam ich zu dem Schluss, nichts anderes, als meine Kollegen aus der Klinik herzubitten. Gleich am nächsten Tage wollte ich sie benachrichtigen und Dennis von dem Ort wegbringen, der ihn so zerstörte. Doch ich gab dem Ganzen eine letzte Nacht, in verzweifelter Hoffnung wohl, und setzte mich zu meinem Freunde, sagte: „Hier ist einer deiner Lieblingsromane. Ich möchte dir vorlesen, wenn du magst, wir hatten schon Aufregung genug – so wollen wir diese Nacht miteinander durchstehen.“
Das altmodische Buch, das ich zur Hand genommen hatte, blindlinks aus dem Regale, war Robert Holbergs „Verrückte Reise“; mehr im unsicheren Scherze hatte ich es Dennis' Lieblingsbuch genannt, in Wahrheit genügte die meist verworrene und vor literarischen Motiven überbordende Geschichte nicht den ästhetischen Vorstellungen meines Freundes. Es fand sich wohl nur dort, da es uns in der Kindheit manch belustigende Stunden beschert hatte und grad dadurch vielleicht das einzige Buch blieb, das seine Erregung zu einer Linderung verhelfen konnte. Die närrischen Abenteuer des Martinius ließen jedenfalls jede schattenhafte Tiefe der anderen Werke seiner Sammlung gänzlich missen. Und mir war, er lauschte meiner Erzählung recht lebhaft, nicht mehr so vergessenen Blickes.
Ich war an jener wohlbekannten Stelle angelangt, wo Martinius zur Felsenhöhle kam, um das gläserne Herz aufzusuchen. Hier lautet, wie man sich womöglich
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