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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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noch Kompromisse machen und auch Examensarbeiten für verzweifelte Studenten schreiben. Das war nicht besonders schwer, ich brauchte bloß die aus dem letzten Jahrzehnt abzuschreiben. Dann schickten mir die Freunde aus den Lekto-raten Manuskripte und Übersetzungen zum Redigieren, na-türlich nur die unangenehmsten und für mäßiges Honorar.
    Aber ich sammelte Erfahrungen, akkumulierte Kenntnisse und warf nichts weg. Alles wurde säuberlich in Karteien verzettelt. Ich dachte noch nicht daran, die Karteien in einen Computer zu übertragen (die kamen damals gerade erst auf, Belbo war ein Pionier), ich operierte noch mit handwerkli-chen Mitteln, aber ich hatte mir eine Art künstliches Ge-dächtnis aus Kärtchen mit Querverweisen geschaffen. Kant -
    › Nebelfleck -› Laplace... Kant -› Königsberg -› die sieben Brücken von Königsberg -› Theoreme der Topologie... Ein bißchen wie jenes Spiel, bei dem man durch Assoziation in fünf Schritten von Würstchen zu Plato gelangen soll. Sehen wir mal: Würstchen -› Schwein -› Borste -› Pinsel -› Manieris-mus -› Idee -› Plato. Leicht. Auch das verquasteste Manu-267
    skript brachte mir noch mindestens zwanzig neue Kärtchen für meine Vernetzungen ein. Das Kriterium war streng, und ich glaube, es ist dasselbe, das auch die Geheimdienste an-wenden: Keine Information ist weniger wert als die andere, das Geheimnis besteht darin, sie alle zu sammeln und dann Zusammenhänge zwischen ihnen zu suchen. Zusammenhänge gibt es immer, man muß sie nur finden wollen.
    Nach etwa zwei Jahren Arbeit war ich mit mir zufrieden.
    Ich amüsierte mich. Und inzwischen war ich Lia begegnet.
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    Sappia qualunque il mio nome dimanda ch’i’ mi
    son Lia, e vo movendo intorno le belle mani a
    farmi una ghirlanda. *
    Dante, Purgatorio, XXVII, 100-102
    Lia. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, sie wiederzusehen, aber ich hätte ihr auch nie begegnet sein können, und das wäre noch schlimmer gewesen. Ich wünschte, sie wäre jetzt hier und hielte mich an der Hand, während ich die Etappen meines Ruins rekonstruiere. Denn sie hatte es mir gesagt. Aber sie muß außerhalb dieser Geschichte bleiben, sie und das Kind. Ich hoffe, sie kommen erst später zurück, wenn alles zu Ende ist — wie immer es enden mag.
    Es war am 16. Juli 1981 gewesen. Mailand entvölkerte sich, der Lesesaal in der Bibliothek war fast leer.
    »He, den Band 109 wollte ich grad nehmen.«
    »Und wieso hast du ihn dann im Regal gelassen?«
    »Ich war nur schnell am Tisch, um was nachzusehen.«
    »Das ist keine Entschuldigung.«
    Sie war eigensinnig mit ihrem Band an den Tisch zurück-gegangen. Ich hatte mich vor sie gesetzt und versucht, ihr Gesicht zu entdecken.
    »Wie kannst du das lesen, wenn’s nicht Blindenschrift ist?«
    fragte ich.
    Sie hob den Kopf, und ich wußte wirklich nicht, ob es das Gesicht oder der Hinterkopf war. »Wieso?« fragte sie. »Ach, ich kann sehr gut durchsehen.« Aber um das zu sagen, hatte sie ihre Mähne beiseite geschoben, und ich sah ihre grünen Augen.
    »Du hast grüne Augen.«
    * Ein jeder, der mich fragt nach meinem Namen, / Soll wissen, daß ich Lea bin und gehe, / Mit schönen Händen einen Kranz zu flechten (deutsch von Hermann Gme-lin).
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    »Weiß ich. Wieso? Ist das schlecht?«
    »Im Gegenteil. Sollte es öfter geben.«
    So hatte es angefangen. »Iß doch, du bist ja dünn wie ein Nagel«, hatte sie mir beim Essen gesagt. Um Mitternacht saßen wir immer noch in dem griechischen Restaurant neben Pilade, mit der Kerze in der Flasche, die schon fast run-tergebrannt war, und erzählten uns alles. Wir waren quasi Kollegen, sie redigierte Lexikonartikel.
    Ich hatte den Eindruck, ihr etwas sagen zu müssen. Eine halbe Stunde nach Mitternacht schob sie ihre Mähne beiseite, um mich genauer anzusehen, ich hielt den Zeigefinger mit dem Daumen nach oben auf sie gerichtet und sagte:
    »Pim.«
    »Komisch«, sagte sie, »ich auch.«
    So waren wir Fleisch von einem Fleische geworden, und von da an war ich für sie Pim.
    Wir konnten uns keine neue Wohnung leisten, ich schlief bei ihr, und sie war oft in meinem Büro oder ging auf die Jagd, denn sie war besser im Spurenverfolgen als ich und suggerierte mir wertvolle Querverbindungen.
    »Mir scheint, wir haben eine halbleere Kartei über die Rosenkreuzer«, sagte sie.
    »Ich muß sie irgendwann auffüllen, es sind Notizen aus Brasilien...«
    »Na gut, mach erst mal einen Verweis auf Yeats.«
    »Was hat denn Yeats damit zu

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