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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wir die Phantasie, die jemand dort hatte Wirklichkeit sein lassen wollen, in phantasierte Wirklichkeit umwandelten.
    »Der Aufstieg ist rituell«, erklärte Agliè, als wir uns auf den Weg machten. »Dies hier sind hängende Gärten, die gleichen (oder beinahe), die Salomon de Caus für den Schloßpark in Heidelberg entworfen hatte — ich meine, für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. im großen Jahrhundert der Rosenkreuzer. Das Licht ist schwach, doch so muß es sein, denn ahnen ist besser als sehen: Unser Gastgeber hat den Entwurf von de Caus nicht originalgetreu nachgebaut, sondern auf engeren Raum konzentriert. Der Hortus palati-402
    nus imitierte den Makrokosmos; der ihn hier nachbaute, hat nur jenen Mikrokosmos imitiert. Sehen Sie die Grotte dort, mit dem Muschelwerk à rocaille... Dekorativ, ohne Zweifel.
    Aber de Caus hatte jenes Emblem der Atalanta Fugiens von Michael Maier vor Augen, in dem die Koralle der Stein der Weisen ist. De Caus wußte, daß man durch die Form der Gärten die Gestirne beeinflussen kann, denn es gibt Zeichen, die durch ihre Konfiguration die Harmonie des Universums nachahmen.«
    »Wunderbar«, sagte Garamond. »Aber wie kann ein Garten die Gestirne beeinflussen?«
    »Es gibt Zeichen, die sich zueinander beugen, einander betrachten und sich umarmen, und sie zwingen zur Liebe.
    Sie haben keine bestimmte, determinierte Form, sie dürfen keine haben. Jedes von ihnen, je nachdem, wie es ihm sein Furor gebietet oder der Elan seines Geistes, erprobt bestimmte Kräfte, wie es mit den Hieroglyphen der Ägypter geschah.
    Es kann keine andere Beziehung zwischen uns und den göttlichen Wesen geben als durch Siegel, Figuren, Gestalten und Zeremonien. Aus demselben Grunde sprechen die Gottheiten zu uns durch Träume und Rätsel. Und nichts anderes sind diese Gärten. Jedes Element dieser Terrasse reproduziert ein Geheimnis der alchimistischen Kunst, nur sind wir leider nicht mehr imstande, es zu lesen, nicht einmal unser Gastgeber. Eine singuläre Hingabe an das Verborgene, das müssen Sie zugeben, beherrscht diesen Mann, der alles aus-gibt, was er jahrelang akkumuliert hat, um Ideogramme zeichnen zu lassen, deren Sinn er nicht kennt«
    Wir stiegen weiter hinauf, und von Terrasse zu Terrasse änderte sich die Gestalt der Gärten. Einige waren als Labyrinth angelegt, andere hatten die Form eines Emblems, doch zu erkennen war die Anlage einer Terrasse immer nur von der nächsthöheren aus, und so entdeckte ich von oben die Umrisse einer Krone und vielerlei andere Symmetrien, die ich nicht bemerkt hatte, als wir sie durchschnitten, und die ich in jedem Fall nicht entziffern konnte. Jede Terrasse ließ, wenn man sich auf ihr zwischen den Hecken bewegte, perspektivisch einige Bilder erkennen, doch wenn man sie dann erneut von der nächsthöheren aus betrachtete, gab sie neue Enthüllungen preis, womöglich mit entgegengesetzter Bedeutung — und so sprach jede Stufe dieser grandiosen Trep-403
    pe zwei verschiedene Sprachen im selben Moment.
    Wir entdeckten, während wir weiter hinaufstiegen, auch kleine Bauten. Einen Brunnen in Form eines Phallus, der unter einer Art Torbogen oder kleinem Portiko aufragte, mit einem Neptun, der einen Delphin niedertrat; ein Portal mit irgendwie assyrisch wirkenden Säulen; und einen Triumph-bogen von unpräziser Form, als hätte man Dreiecke und Polygone auf Polygone gehäuft, wobei sich auf jedem Giebel die Statue eines Tieres erhob, ein Elch, ein Affe, ein Löwe...
    »Und all dies enthüllt etwas?« fragte Garamond.
    »Ohne Zweifel! Lesen Sie nur einmal den Mundus Symboli-cus von Picinelli, ein Werk, das Alciato mit singulärer prophetischer Kraft vorweggenommen hatte. Der ganze Garten ist lesbar wie ein Buch, oder wie ein Zauberspruch, was im übrigen dasselbe ist. Sie könnten, wenn Sie ihn verstanden, die Worte, die dieser Garten sagt, leise aussprechen und wären damit in der Lage, durch jedes von ihnen eine der zahllosen Kräfte zu lenken, die in der sublunaren Welt tätig sind. Der Garten ist ein Apparat zur Beherrschung des Universums.«
    Agliè zeigte uns eine Grotte. Ein Geschlinge aus Algen und Skeletten von Seetieren, ich weiß nicht, ob natürlichen oder aus Gips oder Stein... Man sah eine Najade auf einem Stier mit geschupptem Schwanz nach Art des großen biblischen Fisches, benetzt von einem Wasserstrahl, der aus einer Muschel kam, die ein Triton wie eine Amphora hielt.
    »Ich möchte, daß Sie in tieferen Sinn dieses Brunnens erfassen, der

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