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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sagte ein paar Worte.
    »Wahrhaftig«, murmelte Garamond, »es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden...«
    * Was überall, was von allen und was immer [geglaubt worden ist, kann als höchst glaubwürdig angesehen werden]. (Axiom der Kirche, zitiert in Dom A.-J. Pernety, Fables Egyptiennes et Grecques, Paris 1758, vol. l, p. 11, als gültig auch für die hermetische Philosophie.)
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    Wir traten durch ein reich mit Figuren geschmücktes Portal, das mich an den Staglieno-Friedhof in Genua erinnerte.
    Hoch oben, über einer verschlungenen klassizistischen Allegorie, prangten in Stein gemeißelt die Worte CONDOLEO ET
    CONGRATULOR. *
    Innen wimmelte es von angeregt schwatzenden Gästen, die sich um ein Büffet in einer weiten Eingangshalle drängten, von der zwei breite Treppen zu den oberen Stockwerken führten. Ich entdeckte noch andere bekannte Gesichter, darunter den Professor Bramanti sowie — Überraschung — den Commendatore De Gubernatis, den von Garamond bereits ausgebeuteten AEK, der aber anscheinend noch nicht mit der gräßlichen Möglichkeit konfrontiert worden war, daß alle Exemplare seines Meisterwerkes im Reißwolf enden könnten, denn er begrüßte meinen Arbeitgeber mit Ausdrük-ken der Verehrung und Dankbarkeit. Seine Verehrung Agliè zu entbieten, kam ein schmächtiges Männlein mit glühenden Augen gelaufen. An seinem unverwechselbaren Akzent erkannten wir Pierre, den Franzosen, den wir in Agliès Villa durch die Vorhangtür belauscht hatten, als er Bramanti der Hexerei beschuldigte.
    Ich trat ans Büffet. Da standen Karaffen mit buntfarbenen Getränken, die ich nicht zu identifizieren vermochte. Ich goß mir etwas Gelbes ein, das aussah wie Wein, es war nicht übel, es schmeckte nach altem Rosolio, doch es war sicherlich alkoholisch. Vielleicht enthielt es auch noch etwas anderes, denn mir begann sich der Kopf zu drehen. Rings um mich drängten sich facies hermeticae neben strengen Gesichtern von Präfekten im Ruhestand, ich schnappte Gesprächsfetzen auf...
    »... im ersten Stadium müßte es dir gelingen, mit anderen Geistern zu kommunizieren, dann Gedanken und Bilder in andere Wesen zu projizieren, die Orte mit Affekten aufzula-den und Autorität über das Reich der Tiere zu gewinnen. In der dritten Phase versuchst du, ein Double von dir in einen Punkt des Raumes zu projizieren: Bilokation, wie die Yogis, du müßtest gleichzeitig in mehreren Gestalten erscheinen.
    Danach geht es darum, zur übersinnlichen Erkenntnis der
    * Ich kondoliere und gratuliere.
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    vegetabilischen Essenzen vorzudringen. Schließlich versuchst du’s mit der Dissoziation, dabei geht es darum, das tellurische Gefüge des Körpers zu durchdringen, sich an einem Ort aufzulösen und an einem anderen zu remateriali-sieren — ganz und gar, meine ich, nicht bloß mit einem Double. Das letzte Stadium ist dann die Verlängerung des physischen Lebens...«
    »Nicht die Unsterblichkeit?«
    »Noch nicht gleich.«
    »Aber du?«
    »Nun ja, das erfordert einige Konzentration. Ich verhehle dir nicht, daß es mühsam ist. Ich bin ja nicht mehr zwanzig...«
    Ich fand meine Gruppe wieder. Sie trat gerade in einen Saal mit weißgetünchten Wänden und abgerundeten Ecken. Im Hintergrund erhoben sich, ähnlich wie in einem Musée Gre-vin — aber das Bild, das mir an jenem Abend unwillkürlich in den Sinn kam, war das des Altars, den ich in dem Umbanda-Tempel in Rio gesehen hatte —, zwei nahezu lebensgroße Figuren aus Wachs, bekleidet mit einem glitzernden Zeug, das mir aus der billigsten Requisitenkammer zu stammen schien. Die eine war eine Dame auf einem Thron in einem (fast) makellos weißen Kleid mit goldglänzenden Pailletten.
    Über ihr hingen an Fäden diverse Geschöpfe von unbestimmter Form, die mir aus Stoffresten oder Filz gemacht schienen, ähnlich jenen kitschigen Puppen, mit welchen die feinen Damen in den dreißiger Jahren gern ihre Sofas dekorierten. Aus einem Lautsprecher in einer Ecke kam ferne Trompetenmusik, diesmal von guter Qualität, vielleicht war es etwas von Gabrieli, jedenfalls war der klangliche Effekt geschmackssicherer als der visuelle. Rechts neben dem Thron stand eine zweite Frauenfigur, gekleidet in ein karme-sinrotes Samtgewand mit weißem Gürtel, auf dem Kopf einen Lorbeerkranz und in der Hand eine vergoldete Waage.
    Agliè erklärte uns die verschiedenen Bedeutungen, aber ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte ihm viel Aufmerksamkeit geschenkt. Was mich interessierte, war der

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