Das Foucaultsche Pendel
nicht wieder an die Trompete. Der Krieg war vorbei, wir zogen zurück in die Stadt, ich gab die Blechblasinstrumente auf, und von Cecilia wußte ich nicht mal — und erfuhr ich auch nie — den Nachnamen.«
»Mein armer Schatz«, sagte Lorenza und umarmte ihn von 397
hinten. »Aber ich bin dir doch geblieben.«
»Ich dachte, du magst Saxophone«, sagte Belbo. Drehte dann leicht den Kopf und küßte sie auf die Hand. Und wurde wieder ernst. »An die Arbeit! Wir haben eine Geschichte der Zukunft zu machen, nicht eine Chronik der verlorenen Zeit.«
Am Abend feierten wir dann die Aufhebung des Alkohol-verbots. Belbo schien seine elegische Stimmung vergessen zu haben und maß sich mit Diotallevi. Sie dachten sich absurde Maschinen aus, um bei jedem Schritt zu entdecken, daß sie schon erfunden waren. Um Mitternacht, nach einem erfüllten Arbeitstag, beschlossen wir alle auszuprobieren, was man empfindet, wenn man in den Hügeln schläft. Ich ging in mein Zimmer und kroch in die klammen Laken, die noch feuchter waren als am Nachmittag. Belbo hatte uns mit Nachdruck geraten, rechtzeitig den »Priester« reinzutun, einen Bettwärmer in Gestalt eines Topfes voll Glut, den man in einem ovalen Drahtgestell unter die Decke schiebt, und sicher hatte er es getan, um uns die Freuden des Landlebens voll genießen zu lassen. Doch wenn die Feuchtigkeit latent ist, macht der Priester sie manifest: man spürt eine köstliche Wärme, aber die Laken fühlen sich an wie aus dem Wasser gezogen. Nun ja. Ich knipste eine Stehlampe an, so eine mit Fransen am Schirm, wo die Eintagsfliegen flügelschlagend verenden, wie es der Dichter will, und versuchte einzuschla-fen, indem ich Zeitung las.
Nach ein bis zwei Stunden hörte ich Schritte im Flur, ein Auf- und Zuklappen von Türen, und beim letzten Mal (beim letzten, das ich hörte) eine heftig zugeschlagene Tür. Lorenza war offenbar dabei, Belbos Nerven auf die Probe zu stellen.
Ich war gerade am Einschlafen, da hörte ich ein Kratzen an meiner Tür. Es klang wie von einem Tier (aber ich hatte weder Hunde noch Katzen in der Villa gesehen), und mir kam es wie eine Einladung vor, eine Aufforderung, ein Kö-
der. Vielleicht war es Lorenza, die da kratzte, weil sie wußte, daß Belbo sie beobachtete. Vielleicht auch nicht Bisher hatte ich Lorenza immer als Belbos Eigentum betrachtet — jedenfalls in bezug auf mich —, und seit ich mit Lia zusammenleb-te, war ich taub für andere Reize geworden. Die maliziösen und oft komplizenhaften Blicke, die Lorenza mir manchmal 398
im Büro oder in der Bar zuwarf, wenn sie Belbo auf den Arm nahm, Blicke wie auf der Suche nach einem Verbündeten oder Zeugen, gehörten — so hatte ich immer gedacht — zu einem Gesellschaftsspiel. Außerdem konnte Lorenza jeden beliebigen so ansehen, als wollte sie seine amourösen Fähigkeiten testen — aber auf eine kuriose Art, als wollte sie sagen: »Ich will dich, aber nur um dir zu zeigen, daß du Angst vor mir hast«... An jenem Abend hingegen, als ich dieses Scharren hörte, dieses Kratzen mit den Fingernägeln auf dem Türlack, hatte ich ein anderes Gefühl: Mir wurde klar, daß ich Lorenza begehrte.
Ich zog das Kissen über den Kopf und dachte an Lia. Ich möchte ein Kind mit ihr haben, sagte ich mir. Und ihm (oder ihr) werde ich sofort Trompetespielen beibringen, kaum daß es pusten kann.
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Der Weg aber, so zum Schlosse gieng, war zu
beiden seiten... mit schönen Bäumen von allerley Früchten besetzet, auch allweg drey Bäum auff
beiden seiten, daran Laternen geheftet, darinnen schon allbereit alle Lichter durch ein schön Jung-fraw... im Blawen Kleyd mit einer herrlichen Fak-kel angezündt worden. Das war so herrlich vnd
Meisterlich anzusehen, daß ich mich wider die
notturft etwas länger aufgehalten.
Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, 2, p. 21
Gegen Mittag erschien Lorenza lächelnd auf der Terrasse und verkündete uns, sie habe einen prächtigen Zug gefunden, der um halb eins in *** vorbeikomme und sie mit nur einmal Umsteigen am frühen Nachmittag nach Mailand zu-rückbringen würde. Ob wir sie zum Bahnhof brächten.
Belbo blätterte weiter in unseren Papieren und sagte, ohne aufzuschauen: »Mir schien, daß Agliè auch dich erwartet, mir schien sogar, daß er den ganzen Ausflug nur für dich organisiert hat.«
»Pech für ihn«, sagte Lorenza. »Wer bringt mich runter?«
Belbo erhob sich und sagte: »Bin gleich zurück. Dann
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