Das Foucaultsche Pendel
sagen, aber wenig später, auf einer anderen Seite, ich glaube an der nordwestlichen, zeigte er uns das Wappen des Goldenen Vlieses. Ich mußte unwillkürlich an das feine Spiel der Allianzen denken, das den Hosenbandorden mit dem Orden des Goldenen Vlieses verband, das Goldene Vlies mit den Argonauten, die Argonauten mit dem Gral und den Gral mit den Templern. Die Phantastereien des Oberst Ardenti kamen mir in den Sinn, auch einige Stellen aus den Manuskripten der Diaboliker... Ich zuckte zusammen, als der Führer uns in einen Nebenraum führte, einen niedrigen Saal mit Gewölbedecke und mehreren Schlußsteinen. Es waren klei-456
ne Rosetten, doch auf einigen sah ich in Stein gehauen ein bärtiges, bocksähnliches Gesicht. Der Baphomet!
Wir stiegen in eine Krypta hinunter. Nach sieben Stufen gelangt man auf einen nackten Steinboden, der zur Apsis führt, in der sich ein Altar erheben könnte oder der Thron des Großmeisters. Doch auf dem Wege dorthin geht man unter sieben Gewölbeschlußsteinen hindurch, deren jeder die Form einer Rose hat, eine größer als die andere, und die letzte, am weitesten entfaltete, hängt über einem Brunnen.
Das Kreuz und die Rose, hier in einem Templerkloster! Und in einem Saal, der sicher vor dem Erscheinen der Rosenkreuzer-Manifeste erbaut worden ist! Ich fragte den Führer danach, und er lächelte: »Wenn Sie wüßten, wie viele Anhänger der okkulten Wissenschaften hierhergepilgert kommen...
Es heißt, dies hier sei der Saal der Initiation...«
Zufällig trat ich in einen noch nicht restaurierten Raum, der nur wenige staubige Möbel enthielt und fand ihn vollge-stellt mit Kartons. Ich kramte ein bißchen darin herum, und da fielen mir Blätter mit hebräischer Schrift in die Hände, vermutlich aus dem siebzehnten Jahrhundert. Was machten die Juden hier in Tomar? Der Führer sagte mir, die Ritter hätten gute Beziehungen mit der jüdischen Gemeinde am Ort gehabt Er bat mich ans Fenster und zeigte mir einen Garten im französischen Stil, der wie ein elegantes kleines Labyrinth angelegt war. Das Werk eines jüdischen Architekten aus dem achtzehnten Jahrhundert, sagte er, eines gewissen Samuel Schwartz.
Das zweite Treffen in Jerusalem... Und das erste in einer Burg! Hatte so nicht die Geheimbotschaft aus Provins gelau-tet? Mein Gott, der »Donjon« in jener »Ordonation«, die Ingolf gefunden hatte, das war nicht der unwahrscheinliche Montsalvat der Gralsromane, das Hyperboreische Avalon.
Welchen Ort hätten die Templer von Provins, wenn sie einen ersten Treffpunkt festlegen mußten, gewählt haben können
— sie, die doch eher gewohnt waren, Komtureien zu leiten als Romane der Artusrunde zu lesen? Tomar natürlich, die Burg der Christusritter! Einen Ort, an dem die Überlebenden des Ordens volle Freiheit genossen, mit unveränderten Garantien, und wo sie zudem in Kontakt mit den Agenten der zweiten Gruppe standen!
Ich verließ Tomar und Portugal mit entflammtem Geist.
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Endlich begann ich, die Botschaft, die uns der Oberst Ardenti gebracht hatte, ernst zu nehmen. Die Templer hatten, als sie sich zum Geheimorden konstituierten, einen Plan ausgeheckt, der sechshundert Jahre dauern und in unserem Jahrhundert zum Abschluß gelangen sollte. Die Templer waren ernsthafte Leute. Wenn sie von einer Burg sprachen, meinten sie einen realen Ort. Der Plan nahm seinen Ausgang von Tomar. Also wie hätte er dann weitergehen müssen? Was für Orte mußten die anderen fünf Treffpunkte sein? Orte, an denen die Templer auf Freundschaft, Protektion, Komplizi-tät zählen konnten. Der Oberst hatte von Stonehenge, Avalon und Agarttha gesprochen... Alles Quatsch. Die Botschaft mußte ganz neu interpretiert werden.
Natürlich, sagte ich mir auf der Heimreise, natürlich handelt es sich nicht darum, das Geheimnis der Templer zu entdecken, sondern es zu konstruieren.
Belbo schien nicht sehr begeistert von der Idee, auf das Dokument zurückzukommen, das der Oberst ihm hinterlassen hatte, und fand es erst nach widerwilligem Kramen in der untersten Schreibtischschublade. Doch er hatte es immerhin aufgehoben. Wir holten Diotallevi hinzu, und selbdritt lasen wir von neuem die Botschaft aus Provins. Nach so vielen Jahren.
Sie begann mit dem nach Trithemius chiffrierten Satz: Les XXXVI inuisibles separez en six bandes. Dann folgte: a la... Saint Jean
36 p charrete de fein
6... entiers avec saiel
p... les blancs mantiax
r... s... chevaliers de Pruins pour la...j. nc.
6 foiz 6 en 6
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