Das Foucaultsche Pendel
verkaufen«, sagte ich düster. »Die Geschichte existiert wirklich, sie ist so geschrieben worden, mit win-zigen Abweichungen. Es handelt sich um ein Buch über das Mysterium des Grals und die Geheimnisse von Rennes-le Château. Statt immer nur Manuskripte zu lesen, sollten Sie auch mal Bücher lesen, die anderswo schon erschienen sind.«
»Heilige Seraphim!« rief Diotallevi. »Ich hab’s doch gesagt, diese Maschine sagt immer nur, was alle schon wissen.« Sprach’s und ging unversöhnt hinaus.
»Und sie nützt doch!« sagte Belbo pikiert. »Mir ist eine Idee gekommen, die auch andere schon hatten? Na und? Wir sind eben bei der literarischen Polygenese. Signor Garamond würde sagen, das ist der Beweis für die Wahrheit dessen, was ich gesagt habe. Diese Autoren müssen jahrelang über dem Problem gebrütet haben, und ich hab’s an einem Abend gelöst.«
»Ich stehe auf Ihrer Seite, das Spiel ist der Mühe wert, es hat etwas Zündendes. Aber ich glaube, die Regel ist, daß 450
man viele Daten einfügen muß, die nicht von den Diabolikern stammen. Das Problem ist nicht, okkulte Verbindungen zwischen Debussy und den Templern zu finden. Das tun alle. Das Problem ist, okkulte Beziehungen zwischen, sagen wir, der Kabbala und den Zündkerzen im Auto zu finden.«
Ich hatte das nur so hingesagt, aber es brachte Belbo auf eine Spur. Am nächsten Morgen erzählte er mir davon.
»Sie hatten ganz recht. Jede Gegebenheit wird bedeutsam, wenn man sie mit einer andern verbindet Die Verbindung ändert die Perspektive. Sie bringt einen auf den Gedanken, daß alle Erscheinungen in der Welt, jede Stimme, jedes geschriebene oder gesprochene Wort nicht das bedeuten, was sie zu bedeuten scheinen, sondern von einem Geheimnis sprechen. Das Kriterium ist simpel: Man muß argwöhnen, immer nur argwöhnen. Geheime Botschaften kann man auch aus einem Einbahnstraßenschild herauslesen.«
»Sicher. Manichäischer Moralismus. Abscheu vor der Reproduktion. Durchfahrt verboten, weil sie eine Täuschung des Demiurgen ist. Nicht auf diesem Wege wird man den Rechten Weg finden.«
»Gestern abend ist mir ein altes Lehrbuch für die Führer-scheinprüfung in die Hände gefallen, so eins mit technischen Erläuterungen über den Aufbau des Automobils. Es mag am Dämmerlicht gelegen haben oder an dem, was Sie mir gesagt hatten, jedenfalls kam mir sofort der Verdacht, daß diese Seiten insgeheim etwas anderes besagten. Wie, wenn das Automobil nur als eine Metapher der Schöpfung existierte?
Freilich darf man sich nicht auf das Äußere beschränken oder auf das Trugbild des Armaturenbretts, man muß auch sehen können, was nur der Artifex sieht, nämlich das, was sich darunter verbirgt. Das Untere ist wie das Obere. Das Automobil ist der Sefiroth-Baum.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Nicht ich sage das, es selber sagt es. Erstens ist die Motor-welle, die ja nicht zufällig in so vielen Sprachen arbor heißt (arbre moteur, albero motore etc.), wie das Wort sagt, eben ein Baum. Gut, jetzt nehmen Sie den Motor als Kopf, die zwei Vorderräder, die Kupplung, das Getriebe, zwei Gelenke, das Differential und die zwei Hinterräder. Zehn Gliederungen, wie die Sefiroth.«
»Aber die Positionen stimmen nicht überein.«
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»Wer sagt das? Diotallevi hat uns erklärt, daß Tifereth in manchen Versionen nicht die sechste, sondern die achte Sefirah war, unter Nezach und Hod. Mein Baum ist eben der von Belboth, eine andere Tradition.«
»Fiat.«
»Nun folgen wir der Dialektik des Baumes. Oben ist der Motor, omnia movens, der Allbeweger, oder sagen wir: der Kreative Born. Der Motor überträgt seine kreative Energie auf die zwei Höheren Räder — das Rad des Verstandes und das Rad der Weisheit.«
»Ja, wenn das Auto Frontantrieb hat...«
»Das Schöne am Baum von Belboth ist, daß er metaphysi-sche Alternativen erlaubt. Er ist das Bild eines spirituellen Kosmos mit Frontantrieb, in dem der vorne liegende Motor seinen Willen unverzüglich auf die zwei Höheren Räder überträgt, und er ist in der materialistischen Version das Bild eines degradierten Kosmos, in dem die Bewegung von einem Fernen Beweger auf die zwei Niederen Räder übertragen wird — aus den Tiefen der kosmischen Emanation werden die niederen Kräfte der Materie freigesetzt.«
»Und bei einem Heckmotor mit Hinterradantrieb?«
»Satanisch. Koinzidenz des Höchsten mit dem Niedrig-sten. Gott identifiziert sich mit den Impulsen der rohen hinteren Materie. Gott als ewig frustriertes
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