Das Foucaultsche Pendel
durch entsprechende Lenkung des Golfstroms, die Bodenschätze an die portugiesische Küste abfließen lassen. Tomar war das Steuer- und Verteilungszentrum, der Fôret d’Orient das Hauptmagazin. So kam ihr ganzer Reichtum zustande. Aber das waren alles nur winzige Häppchen.
Die Templer hatten begriffen, daß sie, um ihr Geheimnis voll 543
auszubeuten, erst eine technische Entwicklung abwarten mußten, die mindestens sechshundert Jahre dauern würde.«
Also hatten die Templer den Großen Plan so eingerichtet, daß erst ihre Nachfolger zu einer Zeit, wenn sie in der Lage sein würden, ihr Wissen gut zu gebrauchen, herausfinden könnten, wo sich der Umbilicus Telluris befand. Aber wie hatten sie die Fragmente der Enthüllung auf die in alle Welt verstreuten Sechsunddreißig verteilt? Waren es lauter Teile ein und derselben Botschaft? Wieso bedurfte es einer so komplexen Botschaft, um mitzuteilen, daß der Nabel der Welt zum Beispiel in Baden-Baden ist, oder in Cuneo, in Chattan-ooga?
War es eine Karte? Aber eine Karte hätte ein Zeichen auf dem gesuchten Punkt, und wer das Fragment mit dem Zeichen besäße, wüßte schon alles und bräuchte die anderen Fragmente nicht mehr. Nein, die Sache mußte komplizierter sein. Wir zerbrachen uns ein paar Tage den Kopf, bis Belbo beschloß, Abulafia zu fragen. Und der Orakelspruch lautete: Guillaume Postel stirbt 1581.
Bacon ist Viscount of Saint Albans.
Im Conservatoire ist das Foucaultsche Pendel.
Es wurde Zeit, eine Funktion für das Pendel zu finden.
Schon nach wenigen Tagen konnte ich eine ziemlich elegante Lösung vorschlagen. Ein Diaboliker hatte uns einen Text über das hermetische Geheimnis der Kathedralen vorgelegt.
Dem Autor zufolge hatten die Erbauer der Kathedrale von Chartres eines Tages ein Senkblei an einem Gewölbeschluß-
stein hängen lassen und aus seinem Pendeln mühelos die Rotation der Erde erschlossen. Aha, deswegen der Prozeß gegen Galilei, hatte Diotallevi bemerkt, die Kirche hatte in ihm den Templer gewittert — nein, hatte Belbo gesagt, die Kardinäle, die Galilei verurteilt hatten, waren in Rom einge-schleuste templerische Adepten, die sich beeilten, dem ver-dammten Toskaner das Maul zu stopfen, diesem treulosen Templer, der aus Eitelkeit alles auszuplaudern drohte, fast vierhundert Jahre vor dem Ablauf des Großen Plans.
In jedem Fall erklärte diese Entdeckung, warum jene Mau-rermeister auf den Boden unter das Pendel ein Labyrinth 544
gezeichnet hatten, das stilisierte Bild des Systems der innerirdischen Ströme. Wir besorgten uns eine Abbildung des Labyrinths von Chartres, und es war eine Sonnenuhr, eine Windrose, ein Adernsystem, eine Schleimspur der schläfrigen Bewegungen Kundalinis. Eine Weltkarte der tellurischen Strömungen.
»Gut, nehmen wir an, die Templer benutzten das Pendel, um den Umbilicus Mundi anzuzeigen. Anstelle des Labyrinths, das immer noch ein abstraktes Schema ist, lege man eine Karte der Welt auf den Boden und sage zum Beispiel: Der Punkt, auf den die Pendelspitze in einem gegebenen Augenblick zeigt, ist der Umbilicus. Aber wo?«
»Der Ort ist keine Frage, es muß Saint-Martin-des-Champs sein, das Refugium.«
»Ja, aber«, wandte Belbo spitzfindig ein, »angenommen, das Pendel pendelt um Mitternacht längs einer Achse Ko-penhagen-Kapstadt. Wo liegt dann der Umbilicus, in Dänemark oder in Südafrika?«
»Der Einwand ist berechtigt«, sagte ich. »Aber unser Diaboliker berichtet auch, daß es in Chartres einen Sprung in einem Chorfenster gibt, durch den zu einer bestimmten Stunde des Tages ein Sonnenstrahl hereinfallt, um immer denselben Punkt zu beleuchten, immer denselben Stein im Fußboden. Ich habe vergessen, welche Folgerung daraus zu ziehen ist, aber in jedem Fall handelt es sich um ein großes Geheimnis. Damit hätten wir den Mechanismus: im Chor von Saint-Martin gibt es ein Fenster mit einem kleinen Loch, einem herausgebrochenen Stück an der Stelle, wo zwei farbige oder mattierte Scheiben von der Bleifassung zusammengehalten werden. Es ist punktgenau kalkuliert worden, und vermutlich gibt es seit sechshundert Jahren jemanden, der sich die Mühe macht, es in Form zu halten. Bei Sonnenauf-gang an einem bestimmten Tag des Jahres...«
»... der kein anderer sein kann als der 24. Juni, der Tag nach der Johannisnacht, dem Fest der Sommersonnwende...«
»... genau, an dem Tag und zu der Stunde trifft der erste Sonnenstrahl, der durch das Loch im Chorfenster einfallt, auf das Pendel, und genau an dem Punkt
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