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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Philippe sowohl den Zaren wie dessen hysterische Gattin fasziniert. Er wurde an den Hof eingeladen, zum Arzt der Petersburger Militärakademie ernannt, zum General und Staatsrat erhoben.
    Daraufhin beschlossen seine Gegner, ihm eine ebenso cha-rismatische Figur entgegenzustellen, die sein Prestige unter-minieren sollte. Und so kamen sie auf Nilus.
    Nilus war ein wandernder Mönch, der in talarähnlichen Gewändern durch die Wälder zog, ausgerüstet mit einem langen Prophetenbart, zwei Frauen, einer kleinen Tochter und einer Assistentin oder Geliebten oder was auch immer, die alle an seinen Lippen hingen. Halb Guru, einer von denen, die dann mit der Kasse durchbrennen, halb Eremit, einer von denen, die andauernd schreien, das Ende sei nah.
    Und tatsächlich war seine fixe Idee die Verschwörung des Antichrist.
    Der Plan seiner Förderer war, ihn zum Popen ordinieren 577
    zu lassen, auf daß er dann durch Heirat (eine Frau mehr, eine weniger) mit Elena Alexandrowna Oserowa, einer Hofdame der Zarin, zum Beichtiger des Herrscherpaars würde.
    »Ich bin ja ein sanfter Mensch«, sagte Belbo, »aber langsam kommt mir der Verdacht, das Massaker von Zarskoje Selo war eine Rattenvertilgungsaktion.«
    Kurz und gut, an einem bestimmten Punkt wurde Nilus dann von den Anhängern Philippes eines ausschweifenden Lebenswandels bezichtigt, und Gott weiß, ob nicht auch sie im Recht waren. Er mußte den Hof verlassen, aber an diesem Punkt war ihm jemand zu Hilfe gekommen und hatte ihm den Text der Protokolle zugespielt. Da niemand klar unterschied zwischen Martinisten (die sich an Saint Martin inspirierten) und Martinesisten (Anhängern jenes Martines de Pasqually, den Agliè so wenig mochte) und da Pasqually einem verbreiteten Gerücht zufolge Jude war, konnte man, indem man die Juden diskreditierte, die Martinisten diskreditieren, und indem man die Martinisten diskreditierte, Philippe erledigen.
    Tatsächlich war eine erste, unvollständige Version der Protokolle bereits 1903 in der Zeitung Snamja erschienen, einem Petersburger Blatt unter Leitung des militanten Antisemiten Chruschtschewan. 1905 war diese erste Version dann von neuem, ergänzt und mit dem Placet der Zensurbehörde versehen, in einem anonymen Buch mit dem Titel Die Quelle unserer Übel erschienen, das vermutlich von einem gewissen Butmy stammte, der zusammen mit Chruschtschewan an der Gründung jener »Union des Russischen Volkes« beteiligt gewesen war, die später als »Schwarze Hundertschaften« bekannt wurde und gewöhnliche Kriminelle anheuerte, um Pogrome und rechtsextreme Attentate zu begehen. Butmy soll danach, diesmal unter seinem Namen, noch weitere Ausgaben des Werkes herausgebracht haben, nun unter dem Titel Die Feinde der menschlichen Rasse — Protokolle aus den geheimen Archiven der zentralen Kanzlei von Zion.
    Aber das waren billige Heftchen. Die erweiterte Version der Protokolle, jene, die dann in alle Weltsprachen übersetzt werden sollte, erschien 1905 im Anhang zur zweiten Auflage des Buches von Sergej Nilus, Das Große im Kleinen: Nahe ist der herandrängende Antichrist und das Reich des Teufels auf Erden, Zarskoje Selo, gefördert von der lokalen Sektion des 578
    Roten Kreuzes. Der Rahmen war eine weitergespannte mystische Reflexion, und das Buch gelangte in die Hände des Zaren. Der Metropolit von Moskau ordnete seine Verlesung in allen Moskauer Kirchen an.
    »Aber was haben denn diese Protokolle mit unserem Gro-
    ßen Plan zu tun?« fragte ich. »Dauernd ist hier von diesen Protokollen die Rede. Müssen wir die etwa lesen?«
    »Nichts ist leichter als das«, antwortete Diotallevi. »Es gibt immer wieder einen Verlag, der sie neu herausbringt. Und wenn sie’s früher noch mit dem Gestus der Abscheu taten, angeblich bloß zu Dokumentationszwecken, tun sie’s jetzt wieder mehr und mehr mit Befriedigung.«
    579

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    Die einzige uns bekannte Gesellschaft, die fähig wäre, uns in diesen Künsten Konkurrenz zu machen, könnte die der Jesuiten sein. Aber es ist uns gelungen, die Jesuiten in den Augen des dum-men Plebs zu diskreditieren, einfach weil diese Gesellschaft eine offen auftretende Organisation ist, während wir uns hinter den Kulissen halten und das Geheimnis wahren.
    Protokolle, V
    Die Protokolle sind eine Serie von vierundzwanzig pro-grammatischen Erklärungen einer angeblichen Geheimkon-ferenz angeblicher Weiser von Zion. Die Aussagen dieser Weisen kamen uns ziemlich widersprüchlich vor: Mal wollen sie die Pressefreiheit abschaffen,

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